Thema (Teil 3)

zum Teil 2

Diese Integration des Irrsinns in die Kunst und damit die Auflösung einer rationalistischen Konstruktion von Wahn als wissenschaftlich gesicherter Epistemologie (Erkenntnislehre), deren Grenzwächter die Psychiater seien, war eine existentielle Bedrohung für diese. Allein mit der Macht ihrer Diagnosen und ihren Kerkerverliesen war diesem subversiven Geschehen nicht mehr beizukommen. Als reaktionäre Gegenmaßnahme mußten sie die Kunst in den Griff bekommen, also mußte machttechnisch die Kunst unter ärztliche Oberhoheit gestellt werden und dementsprechend bestimmte Kunst pathologisiert werden. Dazu beginnt gegen Ende der 20er Jahre die Heidelberger Psychiatrie, namentlich der Psychiater Hans Prinzhorn mit Vollmacht und im Auftrag des Chefarztes Willmann, seine Beutezüge durch die Psychiatrien. Den eingesperrten und regelmäßig entmündigten Insassen wird noch das letzte, was ihnen geblieben ist, ihre selbst geschaffenen künstlerischen Werke geraubt. Diese Kunst wurde bösgläubig erworben und konnte deswegen bis heute kein Eigentum der Heidelberger Universität werden, wie der Jurist und Urheberrechtsspezialist Prof. Peter Raue nachgewiesen hat. Aber was interessiert noch die bürgerliche Eigentumsordnung, wenn jemand, wie die Psychiater, foltern und entrechten kann, sich also zum Herrschenden in der Gesellschaft gemacht hat.

Sinn das Raubzug war, damit die Grundlagen für die schmähende Ideologie-Erfindung von Hans Prinzhorn zu legen, es handele sich nicht um Kunst, sondern um die sogenannte "Bildnerei der Geisteskranken". Entsprechend betitelte er sein Pamphlet. Geplant war außerdem ein psychopathologisches Museum, aber dazu kam es erst 70 Jahre danach. Schon bald nach der Veröffentlichung ging die Saat, die der Nazi-Ideologie Prinzhorn gesät hatte, auf. Der Nachfolger seines Chefs, Carl Schneider, erntete gewissermaßen deren Früchte. Moderne, nicht geisteskrank erklärte Künstler schufen reihenweise in der Folge und im Umfeld von Dada zum verwechseln ähnliche Kunstwerke wie die im Irrenhaus Internierten und bildeten damit das nächste Ziel der sich radikalisierenden Ärzte-Nazi-Ideologie: Also konnte deren Kunst auch zur "Bildnerei" erklärt werden und die dafür geprägte Begrifflichkeit der "entarteten Kunst" reproduzierte die gegen die Irrenhäusler gezogene ärztlich-biologistische Gattungsgrenze. So wurde der Weg zur Gaskammer, zum systematischen ärztlichen Massenmord durch diese von Prinzhorn erfundene Ideologie geebnet und Prof. Carl Schneider einer der maßgeblichen Gutachter des systematischen Massenmords. In dessen Aufsatz "Entartete Kunst und Irrenkunst" zog er dann den entsprechenden Schluß, daß nach dem "Endsieg" auch die modernen Künstler vergast werden sollten.

Inzwischen hat sich erwiesen, dass Goebbels mit einer Art von negativem Spürsinn voller Rassisimus eine wahre Anthologie der modernen Kunst zusammengestellt hatte. Hat sich die Bewertung inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt? Die Kustoden amerikanischer Museen, welche mit hohem Aufwand versucht haben, diese Ausstellung mit dem Ziel einer Rehabilitation der Moderne zu rekonstruieren, schlossen vorsichtshalber – jedoch obwohl man sie leicht hätte beschaffen können – die geraubten Werke der nach Prinzhorn genannten Sammlung aus, so als ob sie weiterhin kompromittierend wirken könnten. Indem sie Karl Brendel, Paul Goesch und Franz Pohl in ihrem psychiatrischen Ghetto beliessen, scheinen sich diese Kustoden den Standpunkt Goebbels zu eigen gemacht zu haben. (dieses und die folgenden Zitate aus: Art Brut.

Zum Glück ist ja der "Endsieg" mißlungen und wir kommen nun zur Fälschung der Kunstgeschichte durch Herrn Armin Hauer. Ganz im Gegensatz zu Hauers Diskriminierung von Künstlern, die angeblich "anderes" sind, hat Jean Dubuffet seinen vom ihm geprägten Begriff von "l´Art brut" auf die soziale Situation der Entrechtung, Einsperrung und Ausgrenzung der Künstler als Außenseiter gegründet.


zum Teil 4

Gesendet am 14.04.2005 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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