Die regelmäßigen Zuhörer unserer Sendung erinnern sich vielleicht
noch: Im Mai letzten Jahres berichteten wir über eine Umfrage bei allen
Vormundschaftsgerichten, wie sich diese nach dem Celler Urteil. Verhalten wollen.
Im Urteil des Celler Oberlandesgerichts wurde festgestellt, dass es für
psychiatrische Zwangsbehandlung keine gesetzliche Grundlage im Betreuungsrecht
gibt.
Inzwischen ist dazu ein Urteil des Bundesgerichtshof ergangen. Die Mitgliederversammlung
der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener hat am 8. August in einer
Resolution folgendermaßen Stellung genommen, wir zitieren.
Der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit seinem Beschluss
vom 1.2.2006 mit dem Aktenzeichen XII ZB 236/05 die Zwangsbehandlung in der
Psychiatrie zwar gebilligt, aber dabei eine höchstrichterliche Bedingung
für die unteren Gerichte gesetzt, auf deren Einhaltung wir selbstverständlich
strikt und immer drängen werden.
Insofern möchten wir zweierlei deutlich machen:
- Wir meinen, dass jegliche Zwangsbehandlung in der Psychiatrie gegen den
Willen eines Betroffenen ein Verbrechen ist und einen fundamentalen Verstoß
gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit darstellt. Das ist
auch durch die Kritik von Prof. Wolf-Dieter Narr an dem Urteil belegt, ist: "Die Annahme des BGH Beschlusses ist
mehrfach rechtsfehlerhaft." Aus einer Umfrage bei allen Vormundschaftsgerichten
wissen wir: ¼ der Gerichte teilt diese Meinung, allerdings werden sich
viele Gerichte jetzt zur Rechtfertigung der Zwangsbehandlung auf das obiter
dictum des BGH berufen.
Mit dieser Entscheidung hat der BGH keinen Rechtsfrieden hergestellt, sondern
im Gegenteil, wir werden jetzt erst recht mit allen Kräften auf eine
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (bzw. des EGMR) hinarbeiten, denn
die Misshandlung durch psychiatrische Zwangsbehandlung verstößt
gegen die Menschenrechte und die Würde der Betroffenen und ist ohne jede
verfassungsrechtliche Grundlage.
- Dieser Gang nach Karlsruhe wird allerdings dadurch verzögert werden,
dass erst die unteren Gerichte die Bedingung des BGH erfüllen müssen,
und die Erlaubnis einer Zwangsbehandlung mit einem genauen richterlichen Rezept
versehen sein muss, in dem Wírkstoff, Dosierung und Verabreichungshäufigkeit
genau festgelegt sind.
Deswegen nennen wir dieses Urteil das REZEPT URTEIL, Zitat: "Die
Sache gibt weiterhin Anlass zu dem Hinweis, dass in der Genehmigung einer
Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB die von dem Betreuten zu duldende
Behandlung so präzise wie möglich anzugeben ist…, dazu gehören
bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch
die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffes
und deren (Höchst-) Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit."
Ohne diese genauen Angaben ist jede psychiatrische Zwangsbehandlung auch nach
der Auslegung des BGH als Körperverletzung ein schweres Verbrechen.
Jeder Betreuer, der nicht mit dem Vorwurf konfrontiert werden will, für
eine menschenverachtende und grundrechtswidrige Zwangsbehandlung in einer
Psychiatrie mitverantwortlich zu werden, ist aufgerufen, nie irgendeine solche
Misshandlung zu genehmigen, geschweige denn anzuregen.
Soweit das Zitat aus dem Beschluß der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener.
Diese Stellungnahme wurde inzwischen bundesweit allen Vormundschaftsgerichten
zugestellt.
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