Bericht über die Umfrage bei allen Vormundschaftsgerichten II

Zur Praxis der Rechtsprechung der Vormundschaftsgerichte

Die Befragung der Gerichte zur Anwendung der Grundrechte im Rahmen einer stationären Behandlung zeigt erhebliche Differenzen, teilweise selbst innerhalb des Fachbereiches der einzelnen Gerichte auf, wenn es um die Frage der Zulässigkeit der Zwangsbehandlung bei einem Betreuten geht.

Auf die grundrechtsrelevante und vom OLG Celle thematisierte Frage, dass eine hinreichende Rechtsgrundlage für die Anwendung von Zwang gegen den körperlichen Widerstand des Betroffenen bei der Medikation mit Neuroleptika und den damit verbundenen erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nicht gegeben sei, gehen die Antworten in der überwiegenden Mehrzahl nicht ein.
Lediglich drei der gefragten Gerichte gab allerdings an, dies sei auch bisherige Rechtsprechung des befragten Fachgerichtes gewesen.

Zur Zulässigkeit der Zwangsbehandlung eines Betreuten

Soweit die bisherige Praxis der Vormundschaftsgerichte in der Mehrzahl eine medikamentöse Behandlung mit Neuroleptika gegen den Widerstand eines Betreuten für genehmigungsfähig hält, dürfte dies entgegen der so geäußerten Meinungen nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in seinem Beschluss vom 11.10.2000 stehen. In seinen Entscheidungsgründen führt der BGH insoweit aus, eine Medikationen gegen den Widerstand eines Betreuten stelle nicht einen lediglich in der Dauer gegenüber der Unterbringung beschränkten Eingriff in das Freiheitsrecht des Betroffenen dar, sondern eine andersartige Maßnahme . Entsprechend geht der BGH in seiner Entscheidung auch davon aus, eine Behandlung im Rahmen des § 1906 Abs.1 Nr.2, Abs. 4 BGB selbst erfolge "ohne körperlichen Zwang" .

Den befragten Fachgerichten ist insoweit bei Auslegung und Anwendung des § 1906 BGB vorzuwerfen, nicht hinlänglich zwischen Unterbringung eines Betreuten einerseits und Zwangsmedikation andererseits zu unterscheiden. In dem ersten Fall geht es um das Grundrecht der Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, im zweiten Fall um das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. In beide Grundrechte darf nur aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden (Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG).

Soweit die befragten Vormundschaftsgerichte in größerer Anzahl eine Praktikabilitätslösung bezüglich der künftigen Handhabe einer Unterbringungsgenehmigung dahingehend favorisiert, dass mit einer solchen Unterbringungsgenehmigung insbesondere nach § 1906 Abs.1 Nr. 2 BGB zum Zwecke der Heilbehandlung zugleich eine Ermächtigung zumindest zur Genehmigung zur zwangsweisen Durchführung einer solchen Behandlung gesehen wird, wäre dieser Sicht der Dinge eine Preisgabe von grundrechtlich geschützten Positionen gerade eines psychisch Kranken ohne Rechtsgrundlage vorzuwerfen.

Eine Rechtsmacht zur Unterbringung geht nach dem Grundrechtsverständnis des BGH und des Bundesverfassungsgerichtes nicht automatisch mit der Macht zur Durchsetzung des Zweckes der getroffenen Entscheidung, Heilbehandlung, einher .
Die Genehmigung der Vornahme vom Zwangshandlungen gegen den körperlichen Widerstand des Betreuten zum Zwecke der Heilbehandlung bedarf einer Rechtsgrundlage durch ein formelles Gesetz die dem Betreuungsrecht aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 1906 BGB insgesamt nicht zu entnehmen ist.


Gesendet am 11.05.2006 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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