Über das Urteil des Celler Oberlandesgericht, das die Zwangsbehandlung
von Entmündigten, genannt "Betreute" für nicht genehmigungsfähig
erklärt hat, war in der Novembersendung letzten Jahres ausgiebig berichtet
worden. Anfang dieses Jahres hat Prof. Wolf-Dieter Narr zusammen mit R.A. Thomas
Saschenbrecker in einer Totalerhebung bei allen bundesdeutschen Vormundschaftsgerichten
nachgefragt, wie sie die Rechtslage sehen. Inzwischen haben sie den Bericht
über diese Umfrage veröffentlicht und Prof. Narr hat den Rücklauf
der Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener überlassen,
die im Gegenzug die Veröffentlichung organisiert und allen Gerichten in
der BRD das Ergebnis der Umfrage zugestellt hat. Die Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft
können die einzelnen Antworten nunmehr im passwortgeschützten Mitgliederteil
der Internet Homepage einsehen. Wir zitieren nun aus diesem Bericht über
die Umfrage:
Im Einzelnen wurden sämtliche 694 bundesdeutsche Vormundschaftsgerichte
gebeten, prognostisch für ihre künftige Entscheidungen unter folgenden
Optionen auszuwählen:
Die Gerichte wurden außerdem gebeten, gegebenenfalls ihre jeweilige Einschätzung zu kommentieren.
Insgesamt haben von 694 angefragten Gerichten 388, mithin 56 % die Anfrage des Institutes für Grundrechte und öffentliche Sicherheit an der FU Berlin beantwortet. Unter den 388 Antworten waren 66 Antworten ohne eindeutige Zuordnung zu den Fragen. Teilweise wurde dieses Versäumnis mit differierenden Rechtsansichten der einzelnen mit vormundschaftsgerichtlichen Angelegenheiten befassten Richter eines Gerichtes begründet. Teilweise verwiesen die 66 nicht eindeutigen Antworten der Amtsgerichte auf Erlasse der Ministerien, die die Teilnahme an Forschungsprojekten und damit an der Befragung von einer ministeriellen Zustimmung abhängig machten. In mehreren Antwortschreiben wurde eine Teilnahme aus Zeitgründen abgelehnt. Eine größere Anzahl der Vormundschaftsgerichte, die ohne eindeutige Zuordnung antworteten, wollte keine schematisierte Antwort geben und verwies auf die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung. Dabei sollte teilweise der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Tragen kommen. Einzelne Antwortschreiben enthielten auch den Hinweis, man habe derartige Fälle in der Praxis noch nicht entschieden.
Im Ergebnis schlossen sich 98,7 der befragten Gerichte (die Kommazahl kommt dadurch zustande, dass verschiedene Richter an einem Gericht unterschiedliche Antworten gegeben haben. Diese Antworten wurden nach der Zahl der jeweils zustimmenden bzw. ablehenden Richtern gequotelt und als eine Antwort berücksichtigt), also 25,5 %, vorbehaltlos dem Urteil des OLG Celle an: Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einer Behandlung gegen den Willen eines Betreuten sei abzulehnen.
144, 6 der befragten Gerichte, mithin 37 % lehnten die Beschlussfassung des
OLG Celle zur Unzulässigkeit der Zwangsbehandlung ab. In der Hauptsache
wurden Praktikabilitätserwägungen geäußert. In der Praxis
sei eine Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht durchführbar
und sinnentleert, enthielte die Rechtsnorm nicht zugleich eine Ermächtigungsgrundlage
zur Behandlung gegen den Willen. Eine Unterbringungsgenehmigung zum Zwecke der
Heilbehandlung, so die hier vielfach geäußerte Meinung, liefe ansonsten
auf eine bloße Verwahrung hinaus.
Eine andere Sicht der Dinge allerdings, so die Meinung der ablehnenden Gerichte,
sei gleichwohl zu vertreten, falls eine Patientenverfügung vorliege und
der erklärte Wille des Betroffenen einer Zwangsbehandlung mit Neuroloeptika
entgegenstehe. Das war der Sachverhalt im vom OLG Celle entschiedenen Fall,
wenngleich der Senat in seinen Entscheidungsgründen ´obiter dictum´
keinen Zweifel daran beließ, dass er in der geltenden gesetzlichen Regelung
keine Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung sehe.
79,5 der befragten Gerichte, also 20,5 %, wollten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
stärker als bisher in die jeweilige Meinungsfindung einfließen lassen,
ob Zwangsbehandlung im Einzelfall zulässig sei oder nicht,. Hier wurde
eine Entscheidung zur Zulässigkeit einer Zwangsbehandlung verstärkt
von der jeweiligen Einwilligungsfähigkeit, partiell aber auch vom Vorhandensein
eines natürlichen Willens abhängig gemacht.
Lediglich insgesamt 3 der befragten Gerichte nahmen explizit zur Frage eines
Grundrechtseingriffes in die körperliche Unversehrtheit Stellung und lehnten
bereits aufgrund bisheriger ständiger Rechtsprechung eine Zwangsmedikation
ab.