"Bürger Gesetzgeber! In Erwägung, dass bis heute der Arme allein euch geholfen hat, die Revolution weiterzuführen und die Verfassung zu schaffen; dass es Zeit ist, ihn ihre ersten Früchte ernten zu lassen; setzt endlich auf die Tagesordnung die seit so langer Zeit gewünschte Einrichtung von Werkstätten, wo der Arbeitsame immer, zu allen Zeiten und überall die Arbeit findet, die ihm fehlt; von Heimen, wo der Greis, der Kranke und der Sieche von Brüdern die Hilfe empfängt, wo der Schmarotzer, der Arbeitsscheue an die Arbeit gewöhnt wird und darüber erröten lernt, dass er von den Früchten des Schweißes anderer gelebt hat." (Enzensberger 127)
Dies ist ein Zitat einer Resolution der Einwohner der drei vereinigten Sektionen
des Arbeiterviertels Faubourg Saint-Antoine vom 4.Juli 1793, zitiert nach Ulrich
Enzensberger, Parasiten.
Es zeigt, dass bereits zum Zeitpunkt der Französischen Revolution die Ausgrenzung
sogenannter Schmarotzer als Ziel aufklärerischer Ideologie aufscheint.
Die Biologisierung sozialer Verhältnisse führt zu einem Programm der
Umerziehung zum Zweck der Normierung aller Gesellschaftsmitglieder.
Der Vorstellung eines solcherart "vernünftig" funktionierenden
Ameisenstaates wurde nachhaltig von Marx Schwiegersohn Paul Lafargue widersprochen.
Mit seinem "Recht auf Faulheit" von 1884 konterkarierte er diese Vernunftskonzepte
von Produktionismus und Arbeitsethos.
In dieser Tradition wird es höchste Zeit, Vernunftskonzepte in der Ökonomie endlich über Bord zu werfen: Ökonomie als die Produktion von Waren, Dienstleistungen und anderen tauschbaren Werten verstanden, die verschiedenster Bedürfnisbefriedigung dienen.
Hier gibt es prinzipiell zwei gegensätzliche Konzepte:
a) in marxistischer Tradition wird eine vernünftige Produktion gefordert,
die in der von den Bolschewisten durchgesetzen Planwirtschaft in die Realität
umgesetzt wurde.
b) eine an Gewinnmaximierung orientierte Marktwirkschaft in der handelnde Subjekte
sich über die Bedingungen des Tausches einigen. Dabei spielt Vernunft keine
Rolle, es kommt nur auf die subjektive Befriedigung der miteinander tauschenden
Subjekte an.
Doch vernunftsgesteuerte Planwirtschaften können bestenfalls den Befehlscharakter
der Entscheidungen ihrer Planungsmacher versuchen zu minimieren, Bevormundung
bleibt dieser Form des Wirtschaftens jedoch eigen. Warum das so ist, ist einfach
zu erklären:
Menschen können aus denselben Gründen das Verschiedenste, ja sogar
Gegensätzliche, tun, und sie können aus den unterschiedlichsten Gründen
dasselbe tun. Das ist die Ontologie der menschlichen Freiheit. Es kann also
keine Abbildungs- oder Zuordnungsvorschrift bzw. ein Programm für die Gründe
von Handeln geben und damit ist auch die prinzipielle Unvorhersagbarkeit
menschlichen Verhaltens bzw. menschlicher Bedürftnisentwicklung logisch
zwingend beschrieben.
Damit wiederum ist ein System, das Spekulationen besondere Vorteile verschafft
bzw. die Spekulanten belohnt, deren Vorhersagen durch die weitere Entwicklung
bestätigt werden, dasjenige, das die unverhersagbare Bedürftnisentwicklung
schnell und genau bedient. Es macht sozusagen eine Kultivierung irrationaler
menschlicher Vorahnung - eben nicht Vernunft! - zu seinem Regulativ.
Dem stehen - seiner Grundtönung nach christliche - Vernunftspredigten entgegen. Sie wollen durch Projektionen, liebevolles Mitdenken, ja völlig absurdes angebliches "Mitfühlen", die logischen Nachteile von Vernunftsherrschaft kompensieren. Im Sinne von, "Was du nicht willst das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu", wird aber nicht nur das eigene Handeln begrenzt - entsprechend fordert der hypokratischen Eid für Ärzte nur, nicht zu schaden -, sondern es soll die eigene Maxime zur Maxime aller gemacht werden können.
Thomas Szasz hat in dem Buch "Theologie der Medizin" auf Seite 164
analysiert wozu das führt:
..."kann Gerechtigkeit im einfachsten Sinn als Erfüllung von Verträgen
oder Erwartungen definiert werden. Verträge beinhalten außerdem Leistungen
und Gegenleistungen - also offenkundige Handlungen. Dadurch unterscheiden sie
sich von Absichten, Gefühlen oder Geisteszuständen, die persönliche
Erfahrungen sind. Folglich läßt sich Gerechtigkeit öffentlich
kontrollieren, überprüfen und beurteilen, während Liebe nicht
überprüfbar ist.
Daher ist die Behauptung man handle gerecht, ein Ersuchen um die Zustimmung
anderer Menschen, während die Behauptung, man handele liebevoll, keinen
Raum für das Urteil anderer läßt und in ihrem Eifer auch keinen
Widerspruch duldet. Kurz obwohl die Liebe dem Ideal nachstrebt, die Bedürfnissse
der anderen zu beachten, und die Gerechtigkeit dem Ideal, vereinbarte Regeln
zu beachten, bietet die Gerechtigkeit in der Praxis den Interessen der anderen,
so wie sie selbst sie verstehen, mehr Schutz als liebevolle Handlungen."
Und was heißt das für die Menschenrechte?
Eine Marktwirtschaft erreicht also einen höheren Befriedigungsgrad der
Tauschpartner. Diese haben als handelnde Subjekte einen qualitativ anderen Entscheidungsspielraum,
weil er auf Selbstbestimmung angelegt ist: Es kommt nicht nur schneller zu einer
höheren Produktivität, sondern es entstehen auch größere
Spielräume für Transferleistungen, die an Tauschunwillige oder Tauschunfähige
mit dem Verweis auf deren Menschenrechte geleistet werden müssen.
Also kann viel eher auch der essen, der nicht arbeiten will. Die Menschenrechte
können mit der Forderung, dass es keine Zwangsarbeit geben dürfe,
so überhaupt erst verwirklicht werden. Das Recht auf Faulheit wird dann
von der Utopie zur gesellschaftlich alltäglichen Erungenschaft.
Und eben nicht nur für Reiche.
Menschenrechte können also nicht durch Vernunft begründet werden.
Sie sind das Ergebnis einer Wertsetzung.
Freiheit , so Mathias Beltz , "Freiheit ist, wo und wenn nichts mehr
begründet werden muss."