Erklärungen und Begründungen zum Thema Teil II

Das Programm der Aufklärung ist der Versuch, der Vernunft einen göttlichen Platz zu verschaffen. Damit wurde der Vernunft die Position eines obersten Richters eingeräumt, der die universalen und letzten Fragen entscheidet. Die bürgerliche Gesellschaft bemächtigt sich zur Legitimation ihrer Machtübernahme dieses Vernunftbegriffs. Damit wird der Mensch als vernünftig konstruiert. Vernünftigsein wird zum bestimmenden Element vom Menschsein, womit eine neue Anthropologie begründet wird.

Dazu sagt Hannah Arendt in ihrer Arbeit: Über die Revolution:
"Zu meinen, man müsse nur die "irrationalen" unberechenbaren Triebe und Begierden unter die Kontrolle des "Rationalen" bringen, war natürlich überall charakteristisch für die Aufklärung."
Andererseits hat die Aufklärung mit dem bekannten Forderungen nach "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" die Grundlage gelegt für die Gleichheit der Rechte aller Menschen und damit der Menschenrechte. Damit entsteht der Widerspruch zwischen der Gültigkeit eines universellen Rechts für alle Menschen und der Konstruktion des Menschen als Vernunftswesen und der Einschränkung auf bestimmte Menschen, bzw. der Ausschluss der Unvernünftigen. Mit diesem Widerspruch beginnt der Terror der Vernunft in den Fußstapfen der Inquisition.

Im Verlauf dieser Entwicklung wird eine ständische Hierarchie qua familiärer Genealogie abgelöst durch eine Hierarchie von Leistungsträgern. Die Universität wird zur herrschaftsprägenden Institution. Der erworbene Dr. und Prof. Titel löst den Adelstitel ab. Im Zuge dieser Entwicklung setzt sich ein naturwissenschaftliches Weltbild durch. Naturwissenschaft erlaubt durch die Objektivierung und Strukturierung mit mathematischen Modellen und Kausalketten, starke Prognosen und neue Erklärungen der Vergangenheit. Der Erfolg der modernen Naturwissenschaft führte einerseits zu einer großen Produktivitätssteigerung - erwähnt sei z.B. nur die Entdeckung der Elektrizität und ihrer technischen Nutzbarmachung. Andererseits verführten diese Erfolge dazu, auch gesellschaftlichen, geschichtlichen und persönlichen Prozessen eine Gesetzmäßigkeit zu unterstellen. Auch verhießen sie soziale Utopien, die als wissenschaftlich deklariert wurden, sich aber bei den Versuchen ihrer Realisierung als die Alpträume der Vernunft entpuppten.

Interessant ist dabei, dass der Anspruch totaler Erklärbarkeit bekanntlich schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb der Naturwissenschaft, namentlich der Physik, auf Widerspruch gestoßen ist: als Beispiele seien insbesondere die prekäre Position des Beobachters in der Quantenphysik, die Heisenbergsche Unschärferelation, die Relativierung von Raum und Zeit durch Einstein und in der Königsdisziplin, der Mathematik, Gödels Unvollständigkeitssatz genannt. Diese interne Demontage in den Kernbereichen von Physik und Mathematik und damit von Naturwissenschaft hat längst die Möglichkeit der Objektivierung fundamental in Frage gestellt, bzw. zersetzt. Diese Entwicklung hat ihre Entsprechung in der Philosophie gehabt, in der namentlich Ludwig Wittgenstein die Unmöglichkeit einer hierarchischen Ordnung von Sprachspielen erklärt hat und damit die Idee einer universalen Theorie verworfen hat. Aber was stellen wir fest: insbesondere in Medizin, Hirnforschung und Biotechnologie, werden diese Tatsachen totgeschwiegen bzw. verdrängt und ein längst überholtes mechanistisches Weltbild wird konserviert.


Gesendet am 11.05.2006 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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