Rede Klaus Kutzer

In der folgenden leicht gekürzten Rede von Herrn Kutzer begründet und erklärt er den Gesetzentwurf von Jusitzministerin Zypries:

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
nur eins möchte ich vorweg sagen: Eine staatliche Kommission in unserer pluralen Demokratie kann nicht eine bestimmte Weltanschauung zum Grundsatz machen, sondern muss den verschiedenen Meinungen, den verschiedenen Gruppierungen in unserer Gesellschaft Rechnung tragen. Sie darf also nur einen äußersten Rahmen setzen, um nicht dazu beizutragen, dass eine gesellschaftliche Gruppe die andere majorisiert.

Deswegen hatte die Ministerin auch versucht, die Mitglieder unserer Kommission aus möglichst vielen Gruppierungen zusammenzusetzen, die mit Patientenverfügungen, die mit der Sorge am Lebensende zu tun haben und vielleicht ist es ganz nützlich, wenn ich einmal die Vertreter nicht namentlich nenne, sondern nach ihrer Verbandszugehörigkeit bezeichne: das waren Vertreter des Bundesverbands Verbraucherzentralen, des Gesamtverbands des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospitz – diese ist zu unterscheiden von der Deutschen Hospitzstiftung, die ja nachher hier zu Wort kommen wird, die Bundesarbeitsgemeinschaft Hospitz ist auf Bundesebene die Vereinigung der aktiv tätigen Hospitzvereine - des Humanistischen Verbands Deutschlands, des Vormundschaftsgerichtstags, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, des Sekretariats der Deutschen Bischofs Konferenz, der Bundesärztekammer, der Konferenz der Justizminister und Gesundheitsminister der Länder. Die hatten jeweils ein Vertreter in unsere Gruppe geschickt und 3 Personen waren allein auf Grund ihrer Sachkunde Mitglied: die sehr bekannten palliative Mediziner Prof. Brasio von der Universität München und Prof. Dr. Müller-Busch von der Humboldt Universität Berlin, damals noch Universität Witten-Herdecke, sowie Dr. Mai vom Zentrum für Medizinische Ethik der Ruhr Universität Bochum.

Ziel der Beratungen unserer – wie Sie gesehen haben – aus verschiedensten Gruppierungen zusammengesetzten Kommissionen war es, Fragen der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen zu diskutieren und Konzepte für die Abfassung einer Patientenverfügung zu erarbeiten, sowie zu prüfen, ob Gesetzesänderungen erforderlich sind und ggfs. hierfür Vorschläge zu unterbreiten.

Die Arbeitsgruppe hat ungeachtet der in Einzelfragen durchaus kontroversen Auffassungen ein hohes Maß an Übereinstimmung erzielen können. Knappe Mehrheitsentscheidungen habe ich nicht zugelassen, denn in diesen ethisch-relevanten und existiellen Fragen wollten wir keine Vorschläge unterbreiten, die mit knapper Mehrheit beschlossen worden sind. Zeigte sich in der Diskussion, dass für eine Frage allenfalls ein knappe Mehrheit zu erzielen ist oder eine knappe Ablehnung, haben wir den Punkt fallen lassen.

Jedem Mitglied stand es frei, bei unserem schriftlichen Bericht, in Fußnoten seine abweichende Auffassung kurz zu skizzieren, sodass man auch nachlesen kann, wer in bestimmten Fragen seine Zustimmung nicht geben konnte.

Grundlegend für die von uns entwickelten Thesen und Empfehlungen war die gemeinsame Überzeugung, dass das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper zum Kernbereich der durch das Grundgesetz geschützten Würde und Freiheit des Menschen gehört. Es bewahrt den Patienten gerade in Grenzsituationen seines Lebens vor Fremdbestimmung. Nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes hat jederman das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Dieses Grundrecht gibt auch dem tödlich erkrankten Bürger die Befugnis, sich gegen von ihn nicht gewollte ärztliche Eingriffe in seine körperliche Integrität zu wehren. Aus diesem Abwehrrecht kann jedoch auch auf eine allgemeine Verpflichtung des Staates zum Schutze des Lebens seiner Bürger geschlossen werden. Ob dieser staatliche Schutz so weit geht, dass der Staat den Bürger mit Zwang davon abhalten darf, sein eigenes Leben zu gefährden, ist jedenfalls für die Fälle sehr zweifelhaft, in denen der Bürger aufgrund einer frei verantwortlichen Entscheidung sein Leben aufs Spiel setzt und durch seine Entscheidung nur er und nicht auch allgemeine öffentliche Interessen berührt sind.

Es entspricht der auf die Garantie von Freiheitsrechten des Bürgers hin ausgerichteten Konzeption unserer Verfassung, den grundrechtlichen Anspruch des Kranken auf Selbstbestimmung höher zu bewerten, als eine Befugnis des Staates, ihn zu seinem angebl. eigenen Schutz einer Fremdbestimmung durch den Arzt, ein Gericht oder einen amtlich bestellten Betreuer zu unterwerfen.

Ein Patient kann sein Selbstbestimmungsrecht nur ausüben, wenn ihm die medizinischen Optionen für seinen Fall bekannt sind und er in der Lage ist, die sich daraus ergebenden Vor- und Nachteile sachgerecht abzuwägen. Eine Einwilligung in ein ärztlichen Eingriff z. B. in die künstliche Ernährung per Magensonde, in die künstliche Beatmung, ist daher nur wirksam, wenn der Patient über die medizinische Bedeutung und Tragweite der geplanten Maßnahmen, die alternative Behandlungsmöglichkeiten und die Konsequenzen eines etwaigen Verzichts ärztlich aufgeklärt worden ist. Einer ärztlichen Aufklärung bedarf es im Sinne unserer freiheitlichen Verfassung allerdings dann nicht, wenn der einwilligungsfähige Patient darauf verzichtet hat.

Der Patient darf die Einwilligung auch dann rechtlich verweigern, wenn die ihm angebotene medizinische Maßnahme der Lebenserhaltung dient und seine Entscheidung aus ärztlicher Sicht unvernünftig ist.

In einer ärztlichen Patientenverfügung enthaltene Willensbekundung zur ärztlichen Maßnahmen, die auf die spätere Entscheidungssituation zutrifft, soll nach Auffassung unserer Arbeitsgruppe entsprechend dem Beschluss des BGHs vom 17. März 2003 fort gelten, wenn keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient sie widerrufen hat oder sie zum Behandlungszeitpunkt nicht mehr gelten lassen will. Also eine früher, im einwilligungsfähigen Zustand abgegebene Erklärung soll nach unserer Ansicht ihre Gültigkeit behalten, bis konkrete Anhaltspunkte vorgebracht werden, dass der Patient seinen Willen geändert hat.

Solche konkrete Anhaltspunkte können insbesondere Äußerungen oder auch ein Verhalten des Kranken – eine non-verbale Äußerung – also ein Verhalten des Kranken sein, aus denen auf einen veränderten Patientenwillen geschlossen werden kann.

Wir haben wortlich ausgeführt Situationsbezogenheit und Eindeutigkeit der Willensbekündung müssen, insbesondere dann außer Zweifel stehen, wenn medizinisch indizierte Maßnahmen darin untersagt werden. Deshalb wäre beispielsweise eine in jungen Jahren in einer Patientenverfügung abgegebene allgemeine Erklärung, nicht mehr leben zu wollen, wenn eine Fortbewegung nur in einem Rollstuhl möglich wäre, keine ausreichende Grundlage dafür, dem nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten später nach einem Unfall mit Querschnittslähmung die lebensrettende Behandlung zu verweigern.

Wir halten Patientenverfügungen für formlos wirksam. Insbesondere hat unsere Arbeitsgruppe es abgelehnt, nur schriftliche Patientenverfügungen anzuerkennen. Ist eine mündliche Vorausverfügung des jetzt einwilligungsunfähigen Patienten nicht beweisbar, so ist sie unbeachtlich. Ist sie nicht eindeutig oder nicht konkret genug, kommt ihr bei der Ermittlung des aktuellen Willens lediglich die Bedeutung eines Indizes zu. Ist eine fortwirkende frühere Willensbekündung des nunmehr einwilligungsunfähigen Patienten nicht bekannt oder nicht eindeutig, beurteilt sich die Zulässigkeit der ärztlichen Behandlung, falls unaufschiebbar nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten, bis entweder eine frühere fortwirkende Willensbekündung vorgelegt wird oder für den Patienten, dessen Vertreter – das ist der Gesundheitsbevollmächtigte, den sie ja selbst bestellen können oder der Betreuer entscheidet. Der Betreuer ist der vom Vormundschaftsgericht bestellte gesetzliche Vertreter.

Wir sagen: für die Annahme eines bestimmten mutmaßlichen Willens, bedarf es individueller, aussagekräftige Indizien, nicht die allgemeine Überzeugung, der wird wohl in diesem Falle das und das gemeint haben, sondern es bedarf individueller, d.h. auf die Person des Kranken bezogene von ihm stammende aussagekräftiger Indizien. Ist ein solcher behandlungsbezogener mutmaßlicher Patientwillen nicht feststellbar, was ja sehr oft der Fall sein wird, so entscheiden nach dem Willen unserer Kommission der Patientenvertreter und der Arzt gemäß dem Wohl des Patienten. Hierbei ist dem Lebensschutz Vorrang einzuräumen, wie die Arbeitsgruppe ausdrücklich hervorhebt.

Die Arbeitsgruppe hat sich die, in die vom 12. Zivilsenat des BGHs in dessen Beschluss vom 17. März 2003 vertretene Auffassung gewandt, dass für das Verlangen des Betreuers eine medizinische Behandlung einzustellen, rechtlich kein Raum sei, wenn das Grundleiden des Betroffenen noch keinen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen habe und durch die abgelehnte Maßnahme das Leben des Betroffenen verlängert oder erhalten würde.

Die Befugnis des Vertreters zur Einwilligung oder Ablehnung soll unseres Erachtens vielmehr soweit reichen, wie die des vertretenen Patienten. Das ist keine logische Folgerung - da gebe ich die Enquetekommission ohne Weiteres recht - das ist eine Frage der Entscheidung auch letztlich der politischen Entscheidung. Wir haben uns darauf geeinigt, die Position zu vertreten, dass in Prinzip das Recht des Vertreters des Kranken, also der von ihm ausgewählten Vertrauensperson über bestimmte ärztliche Maßnahmen so weit rechtlich zulässig und beachtlich ist, wie wenn der Betroffene es noch selbst geäußert hätte.

Es ist Ausfluss seines verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbestimmungsrechts, eine solche Entscheidung auch im voraus für den Fall seiner Entscheidungsunfähigkeit treffen und von seinem Vertreter die Durchsetzung seines Willens erwarten zu können. Diese Argumente gelten erst recht gegenüber der Ansicht der Enquetekommission „Ethik und Recht“ über eine noch strengere Reichweitenbegrenzung von Patientenverfügungen.

Ausdrücklich konnte sich unsere Arbeitsgruppe damit nicht auseinandersetzen, weil der Bericht der Enquetekommission erst nach Abschluss unserer Sitzungen veröffentlicht worden ist. Sie haben es hier schon gehört, aber ich darf es vielleicht nochmal kurz zusammenfassen: Die Enquetekommission schlägt vor, Patientenverfügungen mit dem Wunsch nach Abbruch bestimmter lebenserhaltender Maßnahmen bei bestimmten Voraussetzungen nur dann anzuerkennen, wenn das Grundleiden irreversibel ist – das hat ja auch das BGH gesagt - und jetzt kommt das Besondere: „und trotz medizinische Behandlung nach ärztliche Erkenntnis zum Tode führen wird“. Durch das Merkmal „trotz medizinische Behandlung“ werden die Begrenzungen des antizipierten Selbstbestimmungsrechts noch weiter verschärft und führen zum Zwang, medizinische Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

So steht in dem Bericht der Enquetekommission wortwörtlich: „Krankheitszustände, wie Wachkoma und Demenz, die als solche keine irreversiblen, tödlichen Grundleiden darstellen, wenn nicht zusätzliche schwere unheilbare Erkrankungen auftreten, erlauben danach keine Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen, auch wenn dies in einer Patientenverfügung gewünscht wurde.

Eine solch rigorose Auffassung, die bestimmte Erkrankungen generell vom antizipierbaren Selbstbestimmungsrecht ausschließt, erscheint mir weder medizin-ethisch noch verfassungsrechtlich tragbar. Sie ist auch nicht mit der Rechtsprechung des BGHs in Einklang zu bringen. Aus dem neuen Beschluss des 12. Zivilsenats vom 8. 6. 2005 ergibt sich, dass er die Fortführung einer künstlichen Ernährung bei einem langjährigen Wachkomapatienten für rechtswidrig ansieht, wenn der Patient, vertreten durch seinen Betreuer, deren Beendigung in Übereinstimmung mit dem behandelnden Arzt wünscht.

Die von der Enquetekommission des Bundestages gewollte Einschränkung der Reichweite von Patientenverfügungen würde deren praktische Bedeutung insbesondere gerade für den Fall des Wachkomas und der Demenz minimieren, um nicht zu sagen, aufheben. Dann könnte man auf dieses Rechtsinstitut auch ganz verzichten, denn lebenserhaltende Maßnahmen nach Beginn des Sterbeprozesses werden auch nach heute wohl herrschende Auffassung der Ärzte schon medizinisch nicht mehr indiziert sein, wenn sie den Sterbevorgang nur verlängern. Deswegen brauche ich dafür, für dieses Unterlassen nach Beginn des Sterbeprozesses weder eine Patientenverfügung noch einen mutmaßlichen Willen.

Ich frage: soll der Patient trotz entgegenstehende Patientenverfügung erst dann sterben dürfen, wenn sicher ist, dass die irreversibele Erkrankung schon einen tödlichen Verlauf angenommen hat? Was soll in den häufigen Zweifelsfällen gelten, in denen der Arzt nicht ausschließen kann, dass eine weitere kurative Behandlung doch noch den tödlichen Verlauf aufhalten kann? Bliebe, wie von der Enquetekommission vorgeschlagen, Raum für die Anwendung einer behandlungsbegrenzenden Patientenverfügung nur, wenn das Grundleiden trotz medizinische Behandlung zum Tode führt, dann könnte der lebensmüde, hoch betagte Mensch, der an mehreren schweren Erkrankungen oder an einem multiplen Organversagen leidet, von denen jedes Symptom für sich genommen noch kurativ behandelbar erscheint, nicht mehr rechtswirksam verfügen, bei einem Notfall nicht in ein Krankenhaus eingeliefert oder nicht wiederbelebt werden zu wollen.

Unsere Arbeitsgruppe meinte, einen solchen Lebenszwang wollten wir von Gesetzeswege jedenfalls nicht vorschreiben.

Zur Einschaltung des Vormundschaftsgerichts vertritt unsere Gruppe folgende Auffassung: die Verweigerung der Einwilligung des Betreuers in lebenserhaltende Maßnahmen soll grundsätzlich der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bedürfen, es sei denn, dass der Betreuer und der Arzt und das Behandlungsteam – das ist uns auch wichtig, nicht immer nur vom Arzt zu reden, sondern den Arzt und das Behandlungsteam - einvernehmen darüber erzielt haben, dass die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht.

Dieses Einvernehmen ist zu dokumentieren. Nächste Angehörige oder Bezugspersonen sollten vor dieser Entscheidung gehört werden. Unberührt bleibt davon allerdings, auch wenn wir in diesen Fällen das Vormundschaftsgericht ausschalten - anders als die Enquetekommission, die auch bei übereinstimmenden Willen aller Beteiligten zur Kontrolle, sicherheitshalber sozusagen, doch noch das Vormundschaftsgericht eingeschaltet wissen will -, Aufgabe des Vormundschaftsgerichts ist es, wenn Indizien an es auch in einem solchen Fall herangetragen werden, das zu überprüfen. Jederman aus dem Pflegeteam oder auch aus der Allgemeinheit hat das Recht das Vormundschaftsgericht zur Kontrolle solcher Entscheidungen anzurufen.

Das, was unsere Kommission auch noch von anderen Berichten unterscheidet, ist der Umstand, dass wir der Vertrauensperson des Kranken eine Sonderstellung einräumen wollen, eine Sonderstellung gegenüber dem amtlich bestellten Betreuer, der ja von einem staatlichen Organ bestellt worden ist und deswegen trägt der Staat auch dafür die Verantwortung, dass dieser von ihm bestellte Betreuer entsprechend den Wünschen des Patienten handelt und dabei den Lebensschutz nicht vernachlässigt. Deswegen muss der Betreuer staatlich streng kontrolliert werden.

Anders sehen wir es bei den Bevollmächtigten, weil wir sagen: der Bevollmächtigter, der von dem Kranken als seine Vertrauensperson ausgewählt worden ist und der schriftlich auch zu solchen Entscheidungen, die sein Sterben betreffen, ermächtigt worden ist soll letztlich ohne gerichtliche Kontrolle entscheiden dürfen, was - wie gesagt - nicht ausschließt, dass auch der Arzt sagt: das ist ja völlig unvernünftig, was der Bevollmächtigte will und wendet sich an das Vormundschaftsgericht, das zur Kontrolle auch des Bevollmächtigten einschreiten kann. Das ist selbstverständlich.

Wir haben dann zwei Paragraphen im BGB vorgeschlagen über Patientenverfügungen und über Einschaltung des Vormundschaftsgerichts und wir haben auch eine Ergänzung des Paragraphen 216 des Strafgesetzbuches vorgeschlagen durch die klar gestellt werden soll, das nicht strafbar sind, medizinisch indizierte Leid mindernden Maßnahmen, die das Leben als nicht beabsichtigte Nebenwirkung verkürzen, sowie das Unterlassen oder Beenden einer lebenserhaltende medizinischen Maßnahme, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht. Darüber, ob eine strafrechtliche Ergänzung erforderlich ist, wird der Juristentag im September dieses Jahres in Stuttgart extra eine große Diskussion vorbereitet durch Gutachten und Stellungnahmen, von denen eine ich ausarbeiten darf, diskutieren.

Nicht einigen konnte sich unsere Arbeitsgruppe darüber, ob auch eine Ergänzung der Strafvorschrift über die unterlassene Hilfeleistung vorgeschlagen werden sollte, um sicher zu stellen, dass nicht bestraft wird, wer einen Suizid nicht verhindert, den ein Patient nach ernsthafter Überlegung zur Beendigung schweren Leidens begehen will. Bisher sagt ja unsere noch gültige Rechsprechung: jeder Suizid, egal ob frei verantwortlich oder nicht, ist ein zur Hilfeleistung pflichtender Unglücksfall und deswegen wird ja diskutiert, diese Rechtsprechung durch eine Gesetzesänderung einzuschränken. Wie gesagt, das ist nicht unser Vorschlag, wir haben lediglich die These beschlossen, ein Arzt ist gehalten, einen Suizid im Rahmen seiner Möglichkeiten zu verhindern. Entschließt sich ein Patient, trotz aller ärztlichen Bemühungen, nach frei verantwortlicher Überlegung, dazu sein Leben selbst zu beenden, so soll keine ärztliche Verpflichtung bestehen, gegen den ausdrücklichen Willen des Betroffenen lebenserhaltend einzugreifen.

Mit Nachdruck haben wir uns für die Beibehaltung der Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen und wir meinten auch in Ausnahmefällen soll die Tötung des Patienten auf dessen Wunsch nicht toleriert werden, denn, wenn der Sterbenskranke seine Lage als unerträglich, trotz aller palliativen Maßnahmen, ansieht, dann meinen wir, sei es zulässig, in der Terminalphase, ein gezielte Dämpfung oder Ausschaltung des Bewußtseins durch nicht-lebensverkürzende Sedierung zuzulassen. Uns war klar, dass die von uns vertretenden Positionen der weiteren Diskussion, der Überprüfung und auch der Fortentwicklung bedürfen, um einen allgemeinen konsensfähigen Ausgleich zwischen den gegenläufigen Prinzipien liberaler Selbstbestimmung des Bürgers, sowie staatlicher, ärztlicher und pflegerischer Fürsorge zu erzielen.


Gesendet am 09.02.2006 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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