Interview mit Dr. Heiner Bielefeldt

Kurz zusammengefasst sind es also drei Kriterien, die vor dem Gesetz Folter definieren:
Erstens Handlungen die Schmerzen zufügen,
die zweitens von staatlichen Organen ausgeübt werden,
um damit drittens eine Aussage oder ein Geständnis zu erzwingen.

Die ersten beiden Bedingungen sind bei der Zwangspsychiatrie zweifellos erfüllt. Ob auch die dritte Bedingung zutrifft, darum geht es in dem Interview mit Heiner Bielefeldt und in dem Gespräch, das ich mit Wolf-Dieter Narr geführt habe. Der folgende Ausschnitt ist Teil eines Gesprächs, das wir mit dem Direktor des deutschen Instituts für Menschenrechte am 3. November letzten Jahres geführt haben.

Mit Heiner Bielefeldt sprachen René Talbot und Jan Groth:

René Talbot:
In den USA haben der Präsident und das Verteidigungsministerium 2002 ein Gutachten in Auftrag gegeben, dass Folter in eine zulässige und eine unzulässige Form der Nötigung zu unterteilen versuchte. Interessant dabei ist, dass das zwangsweise Verabreichen von „mind altering drugs“ selbst bei diesem Versuch, bestimmte Formen der Folter zu legitimieren, regelmäßig als schwere Folter angesehen wird, also jenseits dessen, was man da noch machen könnte. Was sagen Sie dazu?

Heiner Bielefeldt:
Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.

René Talbot:
Nochmals nachgefragt: Unter dem Prädikt, es gäbe Menschen und „Geisteskranke“, scheint „mind altering drugs“ eben doch zu gehen, aber das heißt doch, Menschenrechte sind teilbar.

Heiner Bielefeldt:
Also Ihr Punkt war: „mind altering drugs“ werden als schwere…

René Talbot:
… als schwere Folter verstanden, sozusagen der loseste Folterbegriff trifft für „mind altering drugs“ zu, aber nicht wenn sie angeblich „Geisteskranken“ aufgezwungen werden.

Heiner Bielefeldt:
Ich bleibe dabei: Bei der Defintion von Folter muß man alle drei Definitionsmerkmale im Blick behalten – da geht’s im Wesentlichen um die Zwecksetzung. Also bei den „mind altering drugs“, ich kenne mich in den Phänomenbereich nicht aus, will mich also hier nicht zu den praktischen Konsequenzen dessen äußern, was da mit „mind altering drugs“ passieren kann. Es sträuben sich einem ja die Nackenhaaren, wenn man das hört: „mind altering drugs“, aber das ist kein Bereich, in dem ich eine Expertise hätte – ich möchte das nicht weiter kommentieren. Es bleibt aber dabei, wesentliches Kriterium von Folter ist die „Fremdnützigkeit“, also die Verzweckung eines Menschen zugunsten Anderer, zugunsten von Einschüchterung, zugunsten von Aussagegewinnung – das ist wesentlich. Wenn ich jetzt sage „wir sind nicht im Bereich Folter“ per Definitionem, sondern in anderen Bereichen, dann heißt das nicht, dass man dem Ganzen einen menschenrechtlichen Segen geben würde.

René Talbot:
Dürfen dann andere noch etwas an der Tätigkeit in der Psychiatrie verdienen? Sie verdienen auf alle Fälle ihr Gehalt damit.

Heiner Bielefeldt:
Na ja, also da sehe ich im Moment keinen Zusammenhang. Also dass alle Tätigkeit…

René Talbot:
Fremdnützig ist es auf alle Fälle für den Arzt, der der Herrscher der Situation ist…

Heiner Bielefeldt:
Ach so!

René Talbot:
Er hat sein Haus voll, er kann es sozusagen beliebig voll machen, weil er Zwang anwenden kann.

Heiner Bielefeldt:
Ach so! Jetzt verstehe ich erst die Frage. Mit der Fremdnützigkeit ist Folgendes gemeint: Der Eingriff als solcher, ist im Falle der Folter die Instrumentalisierung des Menschen und zwar die ausschließliche, die völlige Verdinglichung des Menschen zu fremden Zwecken. Dass wir alle einander instrumentalisieren, insofern, als wir miteinander verkehren, um irgendwie auch Geld zu verdienen, ja - das ist einfach Bestandteil menschlichen Lebens. Es geht um die Total-Verdinglichung dadurch, dass jemand einer Situation unterworfen wird, wo sein Wille völlig zerstört wird, völlig gebrochen wird und zwar zu Zwecken anderer. Das ist sozusagen der Phänomenbereich, der Definitionskontext von Folter, das sind die Definitionsmerkmale der Folter, die Total-Verzwecklichung eines Menschen, der zugunsten Dritter ausgeliefert ist, was immer das im Einzelnen sein mag, und zwar so, dass es dem Staat direkt oder indirekt zugerechnet werden kann. Und die Psychiatrie ist nicht per Definitionem Folter, mit Sicherheit nicht.

Jan Groth:
Davon redet auch keiner.

Heiner Bielefeldt:
Auch die Zwangspsychiatrie wäre nicht per Definitionem Folter.

Jan Groth:
Das ist die Frage. Eben wahrscheinlich genau die, wie man diese Fremdnützigkeit nun definiert. Wir haben schon zwei Punkte angesprochen: ein Punkt wäre z. B. auch dass man die Menschen einer Ideologie opfert, nämlich der Ideologie der „psychischen Gesundheit“.

Heiner Bielefeldt:
Ja, das müsste man aber dann sehr genau zeigen…

Jan Groth:
Genau, und das wäre ein guter Grund, sich damit mal konkret zu befassen und das wird bisher nicht getan und für mich stellt es sich da schon eine große Frage: Wie so ein zentraler Bereich in der Gesellschaft, der…

René Talbot:
… mit hunderttausenden Opfern

Jan Groth:
… ein zentraler Bereich ist, dass der kein Thema ist?

Heiner Bielefeldt:
Na ja, es stimmt ja nicht so, dass er kein Thema wäre. Es stimmt sicher, dass er viel stärker thematisiert werden sollte, da stehe ich auf Ihrer Seite.


Gesendet am 12.01.2006 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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