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Sendung vom 12.04.2007
Nachlese der Bundestagsdebatte und die UN Behindertenkonvention

Dazu berichten wir mit vielen kommentierten O-Tönen von der ersten Bundestagsdebatte zur gesetzlichen Regelung der Patientenverfügung am 29.3. Insbesondere gehen wir der Frage nach, wie der aktuelle Wille beachtet werden soll, wenn es darum geht, eine medizinische Behandlung auf Wunsch der Betroffenen zu unterlassen.
Einen zweiten Schwerpunkt bildet die UN Behindertenkonvention, die am 30.3. von der Bundesregierung paraphiert wurde und deren Ratifizierung auch die in der Konvention gegebenen Versprechen einlösen muß.
01 Intro
02 Ansage der Sendung 0:14 Audio Text
03 Musik: Miles Davis: "Cool Jazz" 2:32
04 Bundestagsdebatte Rede MdB Stünker 10:57 Audio Text
05 Musik: Omar Faruk: "Buddha Bar – I love you" 2:15
06 Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede MdB Bosbach und MdB Knoche 3:21 Audio Text
07 Musik: B.B. King: "Stormy Blues" 1:01
08 Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede von Justizministerin Zypries, MdB Jochimsen, MdB Scholz 5:28 Audio Text
09 Musik: Fourplay: "Dreams come true" 2:35
10 Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede MdB Kauch und MdB Montag 7:11 Audio Text
11 Musik: Miles Davis: "Round Midnight" 3:08
12 Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede MdB Rachel, MdB Däubler-Gmelin und MdB Griese 3:27 Audio Text
13 Musik: Miles Davis: "Cool Jazz" 2:32
14 Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede MdB Körper 2:48 Audio Text
15 Musik: Voice of Buddha: "Progressive boa trance" 2:19
16 UN Behindertenkonvention, Presseerklärung die-BPE 5:53 Audio Text
17 Musik: Billy Hollyday singt 1:27
18 Outro
Ansage der Sendung
Länge 0:14
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Heute wollen wir unseren Hörern anhand von O-Tönen aus der Bundestagsdebatte vom 29. März über die gesetzliche Regelung der Patientenverfügung eine Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion geben.
Zunächst als Einführung die Rede von Joachim Stünker, der begründete, warum er eine gesetzliche Regelung der Patientenverfügung für notwendig erachtet und warum er nur eine Patientenverfügung OHNE Reichweitenbeschränkung für rechtens hält.
Alle Redetexte der Debatte sind im Internet hier veröffentlicht: http://dip.bundestag.de/btp/16/16091.pdf
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Bundestagsdebatte Rede MdB Stünker
Länge 10:57
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Warum debattieren wir heute über die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit von Patientenverfügungen? Wir debattieren darüber, weil circa 7 bis 8 Millionen Menschen in Deutschland eine Patientenverfügung gemacht haben und darauf vertrauen, dass ihre dort getroffenen Bestimmungen auch beachtet und befolgt werden. Sie wehren sich damit gegen die, wie sie es nennen, Apparatemedizin, gegen das Diktat des medizinisch Machbaren, gegen die Verlängerung eines Lebens, das für sie nicht mehr lebenswert ist.

Zwar ist der in der Patientenverfügung geäußerte Wille schon heute grundsätzlich verbindlich und Grundlage ärztlichen Handelns. Der Bundesgerichtshof hat dies trotz des Fehlens einer gesetzlichen Regelung wiederholt entschieden. Aber über genau die Frage, was im Einzelfall unter „grundsätzlich verbindlich“ zu verstehen ist, wird ganz unterschiedlich diskutiert. Ich denke, die heutige Debatte wird das breite Spektrum der Meinungen, die in diesem Hohen Hause vertreten werden, sehr anschaulich zeigen. Es kann einen Unterschied bedeuten, in welches Krankenhaus oder zu welchem Arzt ich nach einem Verkehrsunfall im Zustand der Bewusstlosigkeit gebracht werde, wenn ich mich nicht mehr selber äußern kann, aber eine Patientenverfügung bei mir trage, in der ich zum Beispiel für eine bestimmte Situation das Setzen einer Magensonde ausgeschlossen habe. Die einen erkennen dies als verbindlich an, die anderen nicht. Viele Anwälte, die tagtäglich im Medizinrecht tätig sind, können hierzu beredt Beispiele benennen; bei mir sowie bei vielen Kolleginnen und Kollegen stapeln sich dazu die Briefe.

Die Menschen wollen Rechtssicherheit. Ich meine, sie haben einen Anspruch darauf, dass der Staat ihnen hier Rechtssicherheit gibt. (Beifall im ganzen Hause) Es handelt sich daher bei unserem Thema nicht, wie gestern zu lesen war, um ein von der Politik künstlich aufgebautes Thema, sondern, wie wir alle wissen, um ein Thema, das die Menschen in diesem Lande zunehmend brennend beschäftigt. Jeder Politiker, der dazu Veranstaltungen durchführt, weiß, dass bei einer solchen Veranstaltung der Saal voll ist.
(Jörg van Essen [FDP]: Ja, sehr richtig!)
Darum die Frage: Bringt denn eine gesetzliche Neuregelung für die Zukunft Rechtssicherheit? Ich sage: Ja, wenn es eine klar definierte materiellrechtliche Regelung zum zulässigen, verbindlichen Inhalt einer Patientenverfügung gibt. Nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung entfaltet eine Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch Gültigkeit in allen Lebensbereichen.

Die Frage der Rechtswidrigkeit eines medizinischen Eingriffs wird im Strafrecht dadurch entschieden. Ich sage aber genauso deutlich Nein zu einer Regelung, die quasi nur einen Katalog der Voraussetzungen aufstellt, unter denen ein Mensch fordern kann, dass ein medizinischer Eingriff an ihm nicht vorgenommen wird. Das zum Beispiel wäre eine Regelung mit einer abgestuften Reichweitenbeschränkung. Dies würde nur neue Rechtsunsicherheit bedeuten und, wie ich meine, ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Vormundschaftsgerichte sein. Ich betone daher: Gar keine Regelung ist besser als eine schlechte gesetzliche Neuregelung.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Wie müsste eine mich überzeugende Neuregelung aussehen? Im Mittelpunkt müsste das uneingeschränkte Selbstbestimmungsrecht des Patienten stehen. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 unseres Grundgesetzes bestimmen: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.

Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Daraus folgt: Jeder Patient hat das Recht, sich für oder gegen eine medizinische Behandlung zu entscheiden und gegebenenfalls deren Umfang zu bestimmen. Dieser Grundsatz gilt auch für den antizipierten Willen. Daraus folgt, dass der sicher festgestellte Wille des Patienten unabhängig von Art oder Stadium einer Erkrankung zu beachten ist. Eine Regelung, wonach eine Patientenverfügung nur in dem Fall verbindlich ist, wenn das Grundleiden des Betreuten nach ärztlicher Überzeugung bereits unumkehrbar einen tödlichen Verlauf angenommen hat, genügt dem Selbstbestimmungsrecht nicht und ist deshalb meiner Meinung nach mit Nachdruck abzulehnen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eine Patientenverfügung mit einer Reichweitenbeschränkung ist nach meiner Überzeugung mit unserer Rechtsordnung nicht in Übereinstimmung zu bringen. Unsere Rechtsordnung hat den philosophischen Meinungsstreit zwischen Determinismus und Indeterminismus eindeutig entschieden. Unsere Rechtsordnung beruht darauf, dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden und sein Verhalten an den Normen des rechtlichen Sollens auszurichten. Daraus folgt zum Beispiel, dass der Staat bei Überschreitung dieser Normen das Recht zum Strafen hat. Das ist der tiefste Eingriff, den ich in die Freiheitsrechte vornehmen kann.

Der Umkehrschluss ist aber genauso zwingend: Der Staat hat es zu achten und darf sich nicht einmischen, wenn sich das Individuum in seinem Verhalten an diesen Normen des rechtlichen Sollens ausrichtet. Das Grundgesetz garantiert daher ein Recht auf Leben, es begründet aber keine Pflicht, zu leben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ansonsten müsste der Suizid strafbewehrt sein, was wir alle nicht wollen. Der Staat darf das Leben nie gegen den erklärten Patientenwillen schützen, wenn er denn frei und von einer geschäftsfähigen Person bestimmt worden ist.

Die Patientenverfügung findet nach dem Grundgesetz ihre Grenze allein in der Verletzung der Rechte anderer Menschen. Hierzu hat die höchstrichterliche Rechtsprechung, ebenfalls unter Berufung auf die Verfassung, festgestellt, dass ein Patient mit dem Verbot einer künstlichen Lebensverlängerung niemals die Rechte von Ärzten, Pflegekräften oder Angehörigen verletzen kann. Vielmehr verletzten diese sein Selbstbestimmungsrecht und seine körperliche Integrität, wenn sie eine solche Lebensverlängerung gegen den Patientenwillen aus Gewissensgründen durchführten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auch die Beurteilung der Pflicht des Staates zum Lebensschutz führt zu keinem anderen Ergebnis. Diese Pflicht bedeutet, dass eine Patientenverfügung so ausgestaltet sein muss, dass der Missbrauch dieser Patientenverfügung weitgehend ausgeschlossen werden kann. Deshalb postuliert die heutige Rechtsprechung, auf die ich bereits Bezug genommen habe, entgegen anderslautender Interpretationen nach herrschender Meinung keine Reichweitenbeschränkung einer Patientenverfügung. Rund um diesen Kernbereich, den ich zu skizzieren versucht habe, bedarf es deshalb klarer Regelungen zur Ermittlung des freien Willens des Patienten. Ich will die Eckpunkte dieser Regelung kurz skizzieren: Der Betroffene muss vor Unterzeichnung der Patientenverfügung ein breites Beratungs- und Informationsangebot zur Verfügung haben, er muss volljährig und geschäftsfähig sein, die Patientenverfügung muss immer den aktuellen oder aktuellsten Willen widerspiegeln, der Arzt und der Betreuer oder der Bevollmächtigte haben in der konkreten Krankheitssituation des Patienten festzustellen, ob die in der Patientenverfügung niedergelegten Voraussetzungen für die Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff oder eine ärztliche Heilbehandlung bzw. für deren Untersagung vorliegen, und nur bei Nichtverständigung, beim Dissens zwischen Arzt und Betreuer ist dasVormundschaftsgericht einzuschalten.

Die Patientenverfügung muss zu ihrer Verbindlichkeit schriftlich abgefasst sein. Anderenfalls ist von Arzt und Betreuer der mutmaßliche Wille des Patienten zu ermitteln. Bei dieser Ermittlung sind insbesondere frühere mündliche und schriftliche Äußerungen, seine ethischen und religiösen Überzeugungen sowie persönliche Wertvorstellungen, die verbleibende Lebenserwartung und das Maß der zu erleidenden Schmerzen zu berücksichtigen.

Die Patientenverfügung ist jederzeit formlos widerrufbar. Hierzu genügt die natürliche Willensbekundung – ich betone: natürliche –, nicht die rechtsfähige Willensbekundung. Das heißt, auch ein Dementer kann natürlichen Lebenswillen äußern. Wir müssen klar zum Ausdruck bringen, dass die Fürsorgepflicht der Ärzte für ihre Patienten die Achtung des Selbstbestimmungsrechts einschließt. Eine so skizzierte und normierte Patientenverfügung entspricht im Übrigen der Position der Bundesärztekammer; so habe jedenfalls ich deren Papier verstanden, das uns allen in diesen Tagen zugegangen ist.
(Zuruf von der SPD: So ist es!)

Die Rechtspolitiker der SPD-Fraktion haben zusammen mit dem Bundesministerium der Justiz und Frau Ministerin Zypries eine so skizzierte Patientenverfügung in einem Gesetzentwurf vorgelegt. Wir werben für diesen Entwurf. Mit Kolleginnen und Kollegen der Fraktionen der FDP und des Bündnisses 90/Die Grünen sind wir im Gespräch. Ich bin sicher, dass wir Ihnen nach den Gesprächen, nach der Osterpause hierzu einen gemeinsamen Gruppenantrag vorlegen werden. Wir werden dann gemeinsam darüber diskutieren.

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine Anmerkung machen: In der öffentlichen Diskussion, aber auch in der Diskussion in diesem Hohen Hause sollten wir eine Verwechslung nicht vornehmen: Wenn wir über die Rechtsverbindlichkeit einer Patientenverfügung diskutieren, reden wir nicht über aktive Sterbehilfe.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Tötung auf Verlangen nach § 216 des Strafgesetzbuches bleibt ausdrücklich strafbewehrt. Wir reden auch nicht darüber, dass der Gesetzgeber, dass wir und damit der Staat letzten Endes die Menschen massenhaft dazu bringen wollen, Patientenverfügungen zu machen. Das muss jeder Einzelne für sich entscheiden. All jenen Menschen, die keine Patientenverfügung machen, haben wir nicht hineinzureden. Aber die, die für sich entscheiden, eine zu machen, haben einen Anspruch darauf, dass ihr verfassungsrechtlich garantiertes Selbstbestimmungsrecht von uns und damit vom Staat beachtet wird. Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede MdB Bosbach und MdB Knoche
Länge 3:21
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Besonders bemerkenswert war, dass in beinahe allen folgenden Reden betont wurde, dass der aktuelle Wille entscheidend sei, ob eine medizinsiche Behandlung durchgeführt werden dürfe oder unterlassen werden muß. Das hat unser Herz höher schlagen lassen, denn damit haben die Politiker aller Couleur zugestanden, dass die Zwangspsychaitrie nach ihrem Verständnis illegal ist, denn der aktuelle Wille der in einer Psychiatrie eingesperrten Personen ist ja gerade der, nicht eingesperrt zu sein und nicht zwangsbehandelt zu werden. Deshalb folgen eine Reihe von Ausschnitten verschiedener Reden. Wir beginnen mit dem Abgeordneten Bosbach von der CDU.

Der Respekt vor dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen gebietet es, die Abfassung wirksamer Patientenverfügungen für jedermann so leicht wie möglich zu machen.

Dass wir die Schriftform vorschlagen, bedeutet aber nicht, dass man den einmal verfügten Willen nur schriftlich widerrufen kann. Wenn der Patient, aus welchen Gründen auch immer, nicht mehr an seiner Verfügung festhalten will, dann müssen auch eine mündliche Äußerung oder der durch Zeichen oder Gesten erkennbare Lebenswille ausreichend sein, um die vorherige schriftliche Verfügung außer Kraft zu setzen. In einem solchen Fall verdrängt der aktuelle Patientenwille, der immer Vorrang vor vorherigen Festlegungen haben muss, jede frühere Verfügung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Darüber hinaus wollen wir sicherstellen, dass der nicht mehr äußerungsfähige Patient bei einem erkennbaren Irrtum bei der Abfassung seiner Verfügung nicht an ihrem Inhalt festgehalten wird. Wenn Grund zur Annahme besteht, dass sich der Patient in der Situation, in der er sich im Moment befindet, anders entschieden hätte, dann darf man ihn nicht an seine frühere Erklärung binden.

Da kann man nur sagen: Schön wär's, Herr Bosbach, wenn Sie das auch meinen würden, was Sie gesagt haben. Da wir allerdings nie ein Sterbenswörtchen von Ihnen gegen die Zwangspsychiatrie gehört haben, können wir nur feststellen, daß Ihre Worte geheuchelt sind und Sie den vorgeblich aktuellen Willen einer Person auf Behandlungsabbruch nur dann gelten lassen wollen, solange kein Arzt behauptet hat, der Wille dieser Person sei gerade krank und unerheblich. Denn das ist ja der Fall, damit in einer psychiatrischen Zwangseinweisung eine Zwangsbehandlung nach ärztlichen Willen durchgeführt werden kann. Das haben Sie, Herr Bosbach, allerdings nie kritisiert.

Noch deutlicher wurde dann Frau Knoche von der Linkspartei, die keine Zweifel mehr daran ließ, wen Sie herablassend paternalistisch, angeblich aus Fürsorglichkeit, mit Zwang und Gewalt mißhandelt sehen will:

Ganz anders denke ich über schwere Demenz, tiefe Depression, schizophrene oder manische Schübe und über Wachkoma. Allesamt sind das schwere Krankheitsbilder, die oft zwingend einer Behandlung in dieser existenziellen Notlage bedürfen. Hier kann das Freiheitssubjekt nicht als Begründung für Behandlungsverzicht greifen. Das möchte ich all den Damen und Herren des Deutschen Juristentages sagen. Die Entscheidung zum Suizid kann nicht als Form von Freiheit und Autonomie qualifiziert werden. Das halte ich nachgerade für unverantwortlich.

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Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede von Justizministerin Zypries, MdB Jochimsen, MdB Scholz
Länge 5:28
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Dass der aktuelle Wille tatsächlich Beachtung finden soll, haben dann allerdings die folgenden Reden von Justizministerin Zypries der Abgeordneten der Linkspartei Jochimsen und Olaf Scholz von der SPD deutlich gemacht, die alle eine Patientenverfügung ohne Reichweitenbegrenzung befürworteten.
Damit haben sie sich dazu bekannt, dass der Wille, der in einer schriftlichen Patientenverfügung niedergelegt ist, auch dann aktuell befolgt werden soll, wenn Ärzte meinen, die Person für "geisteskrank" erklären zu können und ihre Willensäußerungen, bzw. Unmutsäußerungen über die medizinische Mißhandlung, nicht zu beachten sei. Zunächst also ein Ausschnitt aus der Reder von Justizministerin Zypries:

Ich meine, es muss darum gehen, den Menschen diese Angst zu nehmen und ihnen die Gewissheit zu geben, dass ihr Selbstbestimmungsrecht auch in denjenigen Situationen gilt, in denen sie sich nicht mehr äußern können. Wir sind uns einig: Solange man reden kann, solange man durch Gesten bedeuten kann, was man will, so lange darf niemand gegen seinen Willen behandelt werden. Das ist Konsens hier im Haus. So viel ist klar.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es folgt ein Ausschnitt aus der Rede von Frau Jochimsen:

Die Verfügung soll jederzeit veränderbar sein, den Phasen des individuellen Lebens angepasst. Sie sollte auch – das wäre die fünfte Forderung – für jeden Zeitpunkt eines Krankheitsverlaufes verändert werden können. Es darf keine Zwangsbehandlung geben, auch nicht bei Personen, die nicht einwilligungsfähig sind.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Olaf Scholz von der SPD Fraktion:

Sehr oft in unserem täglichen Leben – etwa wenn wir etwas unterschreiben – drücken wir unseren Willen aus und sind auch völlig damit einverstanden, dass wir hinterher daran gebunden sind. Insofern ist es aus meiner Sicht Sophismus, eine solche Unterscheidung vorzunehmen, um sich als Gesetzgeber das Recht zu erschaffen, in dem Fall, in dem der Mensch ganz hilflos und bewusstlos ist, über ihn zu verfügen, obwohl er genau das mit seiner Patientenverfügung ausschließen wollte.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als ein Argument werden die Schwierigkeiten bei der Feststellung des Willens genannt. Rechtssoziologen sagen uns, dass der Interpret, der Bevollmächtige, das Gericht oder wer auch immer sich damit beschäftigt, sich selbst als Person bei der Auslegung einbringt. Das wissen wir. Sogar wenn uns etwas ganz klar erscheint, spielt die Auslegung bei der Ermittlung des Sachverhalts ein Rolle. Trotzdem trauen wir uns das zu und halten es für möglich. Das müssen wir auch. Denn wenn wir uns nicht vorstellen könnten, dass wir uns auf die Auslegung eines Willens verständigen können, dann könnten wir gar nicht vernünftig zusammenleben. Deshalb ist es notwendig, dass wir so eine Entscheidung akzeptieren.

Der Verweis darauf, dass man sich bei der Auslegung irren kann, rechtfertigt eine Ablehnung dennoch nicht; denn das ist eigentlich nur ein Hinweis darauf, dass wir uns unglaublich viel Mühe geben müssen. Selbstverständlich, wenn ein 20 Jahre alter Patientenwille vorliegt, dann muss sich derjenige, der darüber zu entscheiden hat, große Mühe geben, um herauszufinden, ob das wirklich noch der aktuelle Wille ist.
(Zurufe von der CDU/CSU: So, so! – Aha! – So ist das also! – Aber wie?)

– Das ist ganz einfach. Man kann zum Beispiel fragen, ob der Patient seinen Willen mündlich oder auf irgendeine andere Weise widerrufen hat. Niemand in diesem Haus hat einen Zweifel daran, dass das möglich ist. Daher sollte man das nicht zum Anlass für die Gesetzgebung nehmen.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt aus meiner Sicht – das will ich ausdrücklich sagen – auch im Hinblick darauf, dass wir eine auf sorgfältige Weise getroffene Entscheidung akzeptieren müssen. Es hat also auch dann zu gelten, wenn ein Mensch nicht mehr einwilligungs- und geschäftsfähig ist, er aber noch eine Willensäußerung von sich geben kann, die deutlich macht, was er will. Auch daran gibt es keinen Zweifel. Das gilt in der Rechtsprechung, und das gilt insgesamt.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Zeit ist kurz. Gestatten Sie mir deshalb nur noch eine Bemerkung.
(Klaus Uwe Benneter [SPD]: Na, na, Herr Kollege! Nicht übertreiben! – Renate Künast[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Redezeit!
– Heiterkeit)
– Ja, meine Redezeit. Schönen Dank. Es beruhigt mich, dass Sie das klarstellen.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es liegen bisher auch keine Absichten einer anderen gesetzlichen Regelung vor, Herr Kollege Scholz.
(Heiterkeit)
Olaf Scholz (SPD): Auch das beruhigt mich.

Noch ein kurzer Hinweis: Es wird gesagt, man müsse unterscheiden zwischen der Situation, in der jemand verfügt, so nicht sterben zu wollen, und der Situation, in der jemand verfügt, so nicht leben zu wollen. Das ist sprachlich schön, aber nicht das Gegensatzpaar, um das es in dieser Debatte geht.
(Elke Ferner [SPD]: Richtig!)
Denn in der Patientenverfügung verfügt man sowohl für den Fall, dass man bald stirbt, als auch für den Fall, dass man noch lange lebt – eventuell aber ohne Bewusstsein –, nur, so nicht am Leben erhalten werden zu wollen.

Wenn man begreift, dass es sich dabei nicht um zwei unterschiedliche Zustände handelt, sondern dass das ein und derselbe Zustand ist und dass diese Unterscheidung künstlich herbeigeführt wird, um sich Gesetzgebungskompetenzen anzumaßen, die man sich besser nicht anmaßen sollte, dann kommt man zum Ergebnis, dass das Selbstbestimmungsrecht im Vordergrund stehen sollte.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede MdB Kauch und MdB Montag
Länge 7:11
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Warum wir eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung brauchen, machte Michael Kauch von der FDP deutlich.
Jerzy Montag von den Grünen verwies auf die historische Dimension der Debatte und begründete damit eine Patientenverfügung ohne Reichweitenbegrenzung. Zunächst Michael Kauch:

Meine Damen und Herren, die Verbindlichkeit und der Anwendungsbereich von Patientenverfügungen müssen endlich neu geregelt werden. Es herrscht verbreitete Rechtsunsicherheit über die Auslegung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Erst gestern habe ich es erlebt, dass eine Ärztin in einer Radiosendung angerufen hat, die gerade von einer Fortbildung über die rechtlichen Fragen in diesem Bereich kam. Mir standen die wenigen Haare, die mir verblieben sind, wirklich zu Berge. Was dort gesagt wurde, entsprach absolut nicht dem, was der Bundesgerichtshof entschieden hat. Die Rechtsunsicherheit, gerade unter den Ärzten, ist groß. Umso mehr ist eine gesetzliche Regelung erforderlich, um Klarheit in diesem Bereich zu schaffen.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])

Nun der ganze Redebeitrag von Jerzy Montag:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es kann in Deutschland keine Debatte über den Wert und den Schutz menschlichen Lebens und über die Würde des Menschen und seine unantastbaren, garantierten Menschenrechte geben, ohne den Blick zurück in die Geschichte zu richten. Die Barbarei der nationalsozialistischen Diktatur und ihre Menschenverachtung sind deshalb auch Mahnung für unsere heutige Debatte über das Selbstbestimmungsrecht bis in den Tod, über die menschliche Würde im Sterben und über die Pflichten der Gesellschaft und des Staates zum Schutz der Würde und des Lebens von uns allen.

Es ist wichtig, dass wir dies im Verlauf dieser Debatte und auch aller folgenden nicht vergessen. Für mich ist das Kürzel „T 4“ das Stichwort: Es steht für eine Villa in der Tiergartenstraße 4 in Berlin Mitte. Diese Villa gibt es nicht mehr, nur noch eine Gedenktafel ist dort zu finden. Dort wurde – in unüberbietbarem Zynismus als Gnadentod bezeichnet – die Entscheidung über die Vernichtung von über 100 000 Kranken, Alten und Behinderten getroffen, denen ein Recht auf Leben und jedes Menschenrecht abgesprochen wurde.

Nicht zuletzt dieser Schrecken war es, der zu den für uns unumstößlichen Prinzipien führte: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Die Würde jedes Menschen ist unantastbar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Nur dann, wenn wir das zur Grundlage unserer Überlegungen machen, wird es uns gelingen, die Vor- und Nachteile der vorgestellten Gesetzesvorschläge sachlich und respektvoll miteinander zu diskutieren. Ich will die Punkte nennen, in denen wir uns einig sind. Wir sind uns einig, dass das Selbstbestimmungsrecht jedes einwilligungsfähigen Patienten zu beachten ist. Wir sind uns einig, dass die Patientenverfügung auf eine eingetretene konkrete Situation zutreffen muss und dass sie jederzeit, in jeder Form, auch formlos und ohne Worte konkludent widerrufen werden kann. Wir sind uns auch einig, dass eine Patientenverfügung nur dann wirksam sein kann, wenn sie schriftlich vorliegt, frei undohne Zwang verfasst wurde, nicht irrtümlich oder unter Täuschung entstanden ist und nichts Gesetzwidriges verlangt. Weitere Begrenzungen darüber hinaus – insbesondere in der Reichweite – halte ich nicht für richtig. Denn wer verlangt, dass sie nur in Kenntnis der möglichen medizinischen Behandlungen und zukünftiger medizinischer Entwicklungen wirksam sein soll, der macht praktisch alle Patientenverfügungen wertlos.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Auch ihre Begrenzung auf Leiden, die einen unumkehrbar tödlichen Verlauf genommen haben, und auf Bewusstlose, die ihr Bewusstsein mit Sicherheit niemals wiedererlangen werden, verbietet den Menschen, gerade das zu regeln, was sie für ihr Lebensende verbindlich regeln wollen. Dahinter stehen verständliche Ängste und Befürchtungen. Sie werden aber mit diesen Begrenzungen auf falsche Weise gelöst und bringen letztlich nicht weniger, sondern mehr Leid und mehr Fremdbestimmung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Zwei Grundsatzfragen müssen wir beantworten. Erstens. Kann und darf man seinen Willen für die Zukunft binden? Darf der geäußerte und eindeutige Wille des Patienten von Ärzten, Betreuern oder Gerichten in Zweifel gezogen werden? Ich meine, nein. Es kann nicht darum gehen, zu beweisen, dass der geäußerte Wille weiter gilt – das ist nie möglich –; vielmehr tragen diejenigen, die ihn anzweifeln, die Beweislast, dass er sich wirklich geändert hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Zweitens stellt sich die Frage nach unserem Selbstbestimmungsrecht, also unserem Recht, selbst zu bestimmen, wie wir leben wollen oder es nicht mehr wollen. Dabei hat der Staat die Pflicht, Leben zu schützen und zu erhalten. Steht in Fragen, die Menschen in einer Patientenverfügung verbindlich regeln wollten, die Pflicht des Staates gegen das Recht der Menschen?
(Joachim Stünker [SPD]: Nein!)

Darf der Staat lebenserhaltend gegen das Selbstbestimmungsrecht angehen und es in fremdbestimmte Schranken weisen? – Ich meine, nein.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)
Ich will mit einem Zitat der Vorsitzenden Richterin des XII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs, Frau Dr. Hahne, enden. Sie hat die grundlegende Entscheidung getroffen, nach der Patientenverfügungen überhaupt Verbindlichkeit genießen. Ich zitiere:
Wünschenswert wäre eine gesetzgeberische Stärkung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten dergestalt, dass die Patientenverfügung, der geäußerte
Patientenwille, absoluten Vorrang hat. Denn nur der Patient ist es, der über sein Leben, aber auch über die Art und Weise seines Todes – seines Weggehensaus diesem Leben – zu entscheiden hat. Niemand sonst hat darüber zu entscheiden, denn es ist das Leben des Patienten. Der Patient hat zwar ein Lebensrecht, aber er hat keine Lebenspflicht.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Joachim Stünker [SPD]: Sehr gut!)

Ich wünsche mir, meine Damen und Herren, dass wir diese Worte beherzigen und danach ein bestmögliches Gesetz zustande bringen.
Danke.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD, der FDP und der LINKEN)

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Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede MdB Rachel, MdB Däubler-Gmelin und MdB Griese
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Zwei Befürworter einer Reichweitenbegrenzung anerkannten wiederum unisono, dass gegen den Willen nicht behandelt werden dürfe. Thomas Rachel von der CDU:

Befürworter einer unbeschränkten Patientenverfügung führen meistens an, es könne nicht sein, dass jemand gegen seinen Willen einer medizinischen Maßnahme unterzogen wird. Das ist richtig.

Die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin verfing sich genauso in einer Rhetorik dem aktuellen Willen zur Geltung zu verhelfen:

Wenn wir ein Gesetz machen, müssen wir bedenken, dass eine schriftliche Patientenverfügung im eintretenden Fall durchaus von dem aktuellen Willen abweichen kann, der immer vorgehen muss; denn die Patientenverfügung rechtfertigt sich nur dadurch, dass sie den Willen des Betroffenen zum Zeitpunkt der Entscheidung deutlich machen soll.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zum Abschluß der O-Töne Ausschnitte aus der Rede von Kerstin Griese, die aufzeigte, daß gerade Fürsorglichkeit sich auf Selbstbestimmung berufen muß und dass dieser Standpunkt christlicher Moral entspricht:

Es ist schon erwähnt worden: Auch die Kirchen geben christliche Patientenverfügungen heraus, seit 1999 über 2,5 Millionen. Es gibt eine große Nachfrage. Die zweite Auflage wurde bezüglich der Reichweite erweitert, nämlich um zusätzliche Verfügungen für Situationen außerhalb der eigentlichen Sterbephase. Das heißt, das Bedürfnis danach ist anscheinend vorhanden und sehr groß...

...Krankheit, Sterben und Tod eines Menschen können nicht ohne seine soziale Einbettung, ohne die Fürsorge anderer Menschen verstanden werden.
Ich will die Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland zitieren, die unter dem Titel „Sterben hat seine Zeit“ ein interessantes Papier vorgelegt hat. Dort heißt es:
Der Respekt vor der Selbstbestimmung der Patienten ist … geradezu eine Implikation der Fürsorge.
(Beifall des Abg. Joachim Stünker [SPD] und der Abg. Irmingard Schewe-Gerigk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das heißt, Fürsorge und Selbstbestimmung gehören zusammen. Es gehört gerade zur Fürsorgepflicht der Ärzte, dass sie die Selbstbestimmung achten, dass sie Leben erhalten und Sterben nicht verlängern. Zum Leben gehört das Sterben. Patientenverfügungen sollen dazu beitragen, dass Ärzte diese Fürsorgepflicht wahrnehmen. Ich glaube, dass wir in der Frage der Verbindlichkeit und Gültigkeit sehr eindeutige Regelungen für Patientenverfügungen brauchen. Ich glaube, man kann meinem Kollegen Stünker nicht unterstellen, dass er in seinem Entwurf einen Automatismus befürwortet. Selbstverständlich muss eine Patientenverfügung immer interpretiert werden. Es muss immer die Möglichkeit bestehen, dass auch mündliche Äußerungen, körperliche Regungen oder Zeichen eines Patienten in die Interpretation der Patientenverfügung einfließen. Brigitte Zypries hat das vorhin die „Gesamtschau des Lebens“ genannt. Niemand wird sagen können, dass es einen absoluten Automatismus gibt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Auch die, die sich für die Regelung einer Patientenverfügung aussprechen, werden, wie ich hoffe – zumindest ist das mein Eindruck aus dieser Diskussion –, sagen: Wir müssen darauf achten, wie und wo sie zutrifft. Ich möchte noch einmal aus dem Papier der EKD zitieren:
Wenn ein urteilsfähiger Patient angesichts von schwerster Krankheit und Leiden Nahrung verweigert, verbietet es der Respekt vor dessen Selbstbestimmung,
ihn in diesem Fall zwangsweise zu ernähren. Wenn wir aber in dieser Weise den Willen und die Selbstbestimmung des urteilsfähigen Patienten respektieren, muss dies prinzipiell auch für den Fall seiner Urteilsunfähigkeit gelten.
(Joachim Stünker [SPD]: Sehr gut!)

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Bundestagsdebatte Auschnitt der Rede MdB Körper
Länge 2:48
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Am Ende der 3,5 stündigen Debattte fehlte die Zeit für weitere 9 Redebeiträge. Diese Beiträge wurden aber zum Protokoll der Bundestagssitzung genommen. Darunter befindet sich eine besondere Perle von dem Abgeordneten der SPD Fitz Rudolf Körper, der genau den gesamten Hintergrund der juristischen Feinheiten der zur Debatte stehenden Entscheidung verstanden hatte und Position bezog. Ich zitiere aus diesem Text:

...Die Befürworter einer Einschränkung der Verfügungsmacht des Patienten argumentieren mit einem angeblichen Spannungsverhältnis zwischen der freien Entscheidung des Bürgers und seinem - angeblich - objektiv bestimmbaren Wohl. Oder sie berufen sich auf eine Pflicht des Staates zum Lebensschutz. Ich möchte hier nicht diskutieren, ob der Staat im Wege des Gesetzes gegen den freien Willen des Betroffenen körperliche Eingriffe mit dem Ziel des Lebensschutzes ermöglichen darf. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zu einer derartigen Vorgabe besteht mit Sicherheit nicht. Also müssen wir das Ergebnis dieser Meinung politisch bewerten: Diejenigen, die sich selbst zum Schützer fremden Lebens ernannt haben, kommen im Ergebnis dazu, die Freiheit der Bürger aus Fürsorgegründen in einem zentralen Kernbereich der Selbstbestimmung einzuschränken.

Sie begründen dies mit dem angeblich "objektiv" bestimmbaren Wohl der Betroffenen. Ich weiß nicht, woher sie den Maßstab dieses "objektiven" Wohls hernehmen wollen. Das menschliche "Wohl" ist aus meiner Sicht im Gegenteil eine sehr subjektive Angelegenheit.

Die angebliche "Objektivität" des Wohls wird dadurch erzeugt, dass der Maßstab des Betroffenen durch den eigenen Maßstab ersetzt wird. Ich halte dies für nicht verantwortbar. Wir Abgeordneten des Deutschen Bundestages sollten uns im Gegenteil damit bescheiden, den Bürgerinnen und Bürgern den Rahmen für eine - mögliche - Entscheidung zur Verfügung zu stellen. Wir können und sollten nicht anstelle der Bürger entscheiden wollen. Denn hinter dem Arzt können wir uns nicht verstecken:

Es ist nicht der Arzt, der über die Durchführung einer Maßnahme entscheidet. Der Arzt gibt lediglicheine Prognose über den Erfolg möglicher medizinischer Maßnahmen ab. Es wäre der Gesetzgeber, der im Wege einer Reichweitenbegrenzung an die ärztliche Prognose die gesetzliche Folge knüpft, dass die mögliche ärztliche Maßnahme auch gegen den Willen des Betroffenen durchzuführen ist. Diese Entscheidung hätte allein der Gesetzgeber zu verantworten. Der Arzt wäre nur das Werkzeug, und der Patient das Objekt einer gesetzlichen Entscheidung. Ich halte eine derartige Anmaßung des Gesetzgebers für unverantwortlich...

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UN Behindertenkonvention, Presseerklärung die-BPE
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An sich könnten es sich die Abgeordneten im Bundestag mit der Entscheidung zur Patientenverfügung leicht machen. Denn am 29. März wurde in New York bei der UN eine sog. "Behindertenkonvention" von der Deutschen Regierung paraphiert, die die psychiatrischen Gewaltmaßnahmen sowieso obsolet machen sollte. (Deutsche Arbeitsübersetzung)

Der einzige Haken bei der Sache ist, dass diese Konvention auch so gemeint sein muß, wie es in ihr geschrieben steht und damit versprochen wird. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener hat deshalb am Tag vor der Paraphierung folgende Presseerklärung veröffentlicht, ich zitiere:

Presseerklärung:

Die UN Behindertenkonvention nur ratifizieren, wenn gleichzeitig alle psychiatrischen Sonder-Entrechtungsgesetze abgeschafft werden

Morgen wird in New York die von der UN Generalversammlung am 13.12.2006 verabschiedete "Convention on the Protection and Promotion of the Rights and Dignity of Persons with Disabilities" von der deutschen Regierung paraphiert. Mit dieser Unterzeichnung beginnt die Zeit, in der in der deutschen Politik diese Convention und deren politische Implikationen diskutiert wird, um am Ende dieses Prozesses die Convention durch den Gesetzgeber zu ratifizieren, oder dies entgegen der bisherigen Unterstützung beim Zustandekommen der Convention zu unterlassen.

Da es in der Convention um die Menschenrechte behinderter Menschen geht, muss vor allem die systematische und flächendeckende Verletzung dieser Menschenrechte durch die Gesetzgebung zur Legalisierung psychiatrischer Zwangsmaßnahmen - Zwangseinweisung und Zwangbehandlung - sowie willkürliche Strafverlängerung durch forensische Psychiatrie beendet werden. Wenn die Convention in Deutschland ratifiziert und damit Gesetz werden sollte, ohne dass die psychiatrischen Sondergesetze gleichzeitig außer Kraft gesetzt werden, würde sich die Convention in ihr Gegenteil verkehren: sie würde zu einem weiteren Instrument gegen die Rechte, die Menschenrechte, der Menschen werden, die als angeblich "psychisch krank" psychiatrisch-medizinisch verleumdet werden. Diese "Diagnosen" werden in der Convention mit dem Begriff "Behinderung" bezeichnet (Artikel 1, Abs. 2): Der Begriff behinderte Menschen umfasst Menschen mit langfristigen körperlichen, seelischen, geistigen oder Sinnesschädigungen,… [Fett hinzugefügt]

Die Convention wendet sich explizit gegen die rechtliche Diskriminierung von Behinderten (Artikel 2, Abs. 3): "Diskriminierung auf Grund einer Behinderung" bezeichnet jede Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung auf Grund einer Behinderung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass die auf die Gleichberechtigung mit anderen gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem anderen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird.

Die Convention untersagt damit explizit die Möglichkeiten, die das Grundgesetz zur Aufhebung der Grundrechte durch ein Gesetz offen gelassen hat, wenn diese gesetzlichen Sonderregelungen eine "Behinderung" zum Kriterium haben. Genau das ist aber der Fall bei den psychiatrischen Sondergesetzen: sowohl die PsychKG´s als auch die forensischen Sondergesetze § 126 StPO und § 63 StGB haben als notwendige Bedingung ein psychiatrisches Gutachten bzw. eine zwangsweise Begutachtung dafür. Sie sind demzufolge abzuschaffen, denn sie widersprechen der Convention.

Darüber hinaus verpflichtet die Convention einen ratifizierenden Staat in Artikel 12 dazu:
Gleichberechtigte Anerkennung als rechtsfähige Person
1. Die Vertragsstaaten bekräftigen, dass behinderte Menschen überall das Recht haben, als rechtsfähige Person anerkannt zu werden.
2. Die Vertragsstaaten erkennen an, dass behinderte Menschen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt mit anderen Rechts- und Geschäftsfähigkeit genießen.

Damit muss jede Zwangsentmündigung, irreführend "Betreuung" genannt, und die damit ermöglichte Zwangseinweisung und Zwangsbehandlung nach Betreuungsrecht, unterbunden werden und kann auch nicht mehr zynisch als "Schutz" und zum angeblichen "Wohl" der Betroffenen ausgegeben und legitimiert werden. Es muss also der § 1896 Absatz 1a BGB entsprechend unserer Forderung aus dem Jahr 2004 geändert werden: "Gegen den erklärten Willen des Volljährigen darf ein Betreuer weder bestellt, noch eine Betreuung aufrechterhalten werden."

Zur Unterstützung dieser Rechtsauffassung der Convention haben wir ein Rechtsgutachten bei einem auf internationales Menschenrecht spezialisierten Juristen in Auftrag gegeben.

Wir bitten Behindertenorganisationen dringend, gegen eine Ratifizierung der Convention in der BRD Stellung zu beziehen, wenn sie nicht erfüllt, was darin versprochen wird: rechtliche Diskriminierungsfreiheit. Rechtliche Diskriminierung wird in ihrer radikalsten, brutalsten und menschenverachtendsten Form in Deutschland durch die Gesetze zur Legalisierung der Zwangspsychiatrie ausgeübt. Wenn Behindertenorganisationen hingegen auf eine schnelle Ratifizierung drängen sollten, weil sie sich Effekte positiver Diskriminierung von der Convention erhoffen, wäre eine Ratifizierung ohne die Abschaffung der Zwangspsychiatrie zu einem unerträglichen Preis erkauft: der Fortsetzung der Barbarei der Zwangspsychiatrie, deren folterartige Praxis und Ableugnung der Selbstbestimmung von Menschen, die als angeblich "psychisch krank" psychiatrisch-medizinisch verleumdet werden.

Eine Ratifizierung unter Beibehaltung der psychiatrischen Sondergesetze würde die Convention zu einer zynischen Karikatur machen: Die Convention würde zu einem zusätzlichen Verdeckungs- und Vertuschungsinstrument psychiatrischer Gewalt werden.
Sie würde zu einem Teil des Problems anstatt zu seiner Lösung beizutragen.

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