Vorschlag zur freiwilligen Elternschaft

Wer kennt nicht die Geschichte von Brechts Kaukasischem Kreidekreis, in der die uneigennützige Liebe einer Mutter zu dem von zwei Frauen beanspruchten Kind zum allein entscheidenden Kriterium für Ihre Mutterschaft gemacht wird?

Ganz ähnlich im Grunde genommen das salomonische Urteil - keine Untersuchung auf Schwangerschaft oder Zeugen der Geburt, sondern nur der Liebesbeweis bei Androhung der Vernichtung des Kindes zählt: in beiden Beispielen wird die Leiblichkeit bzw. biologische „Beschaffenheit“ gerade nicht zur Bestimmung von „Verwandtschaft“ herangezogen, sondern NUR die Beziehung zwischen dem Kind und der so zur Mutter gewordenen Person. Die Forderung, die sich daraus ergibt, heißt modern ausgedrückt: jedes Kind ist adoptiert. Es gibt keine andere Elternschaft außer der freiwilligen, technisch vollzogen etwa durch eine unerzwingbare Unterschrift der Eltern auf der Geburtsurkunde eines Kindes. Sicherlich ginge damit einher, dass leibliche Eltern ein vorrangiges, zeitlich limitiertes Optionsrecht auf „Adoption“ des Kindes hätten, aber andererseits könnten keine Gen- bzw. Chromosomenspender zur Elternschaft gezwungen werden.

In unseren Gesellschaften ist Konsens, dass niemand in eine Ehe gezwungen werden sollte, - wäre es nicht ein vergleichbarer qualitativer Quantensprung, wenn Adoption als definitorischer Regelfall von Elternschaft institutionalisiert würde?
Dem läge die Anerkennung der sozialen Elternschaft als Ergebnis einer individuellen, unerzwingbaren Entscheidung zum Vater- bzw. Muttersein zugrunde, jenseits einer Festschreibung von Geschlechterrollen. Die Fantasie von biologischer Abstammung könnte abgelöst werden durch die Konstitution über Sprache und Kommunikation, unsere Beheimatung in gänzlich unbiologischer Kultur.

Durch dieses Modell der selbstbestimmten Elternschaft, das wir vorschlagen, wäre dann in der Tat jede Zwangselternschaft ausgeschlossen und Sexualität von Elternschaft und Verantwortung für ein Kind entkoppelt. Als willkommener –allerdings antikatholischer - Nebeneffekt würden damit Sexualität und Schwangerschaft von zentralen Ängsten befreit. Die Perspektive, Lust ohne Strafe zu denken, ist Dreh- und Angelpunkt jeder Herrschaftskritik.


Gesendet am 09.03.2006 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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