Neues zur ambulanten Zwangsbehandlung in Bremen

(Dr. Mauer) Was in der Vergangenheit passiert ist, seit es dieses PsychKG gibt, ist, daß sich daran eigentlich nicht richtig orientiert wurde.

(Moderator) Was heißt das? In der Praxis wurde anders verfahren als ...

Das heißt, in der Praxis wurde dieser Gefährdungsbegriff nicht immer so zugrunde gelegt.

Daß heißt, es sind auch Leute, die nicht "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gefährlich" waren, dann eingewiesen worden?

Ja

Diese Aussage hat Dr. Mauer in der Fernsehsendung "Buten und Binnen" von Radio Bremen am 21. März gemacht. Er hat damit offen die kriminelle Energie benannt, mit der das psychiatrische System im Bündnis mit den Vormundschaftsgerichten das geltende Recht über Jahre gebrochen hat.

Inzwischen hat R.A. Thomas Saschenbrecker ein Rechtsgutachten angefertigt, das allen Bremer Bürgerschaftsabgeordneten zugestellt wurde und das die Unvereinbarkeit der geplanten Regelung mit der Verfassung beweist.

Aus dem Gutachten von RA Thomas Saschenbrecker zur geplanten Aufnahme der ambulanten Zwangsbehandlung in das Bremer PsychKG:

Zusammenfassung

Der Entwurf zu §§ 3, 8, 9 PsychKG n. F. nebst den Begründungen begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken insbesondere in Hinblick auf die Option einer ambulanten Behandlung eines Betroffenen gegen dessen Willen und die Erweiterung des Gefahrenbergriffes.

a. Formell schafft der Entwurf der §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis 6 und , 9 Abs. 3 PsychKG n. F. ein materielle Rechtsgrundlage für die ärztliche Zwangsbehandlung.

b. Materiellrechtlich ist festzustellen, dass der Entwurf §§ 3 Abs. 3, 8 Abs. 3 bis 6 und , 9 Abs. 3 PsychKG n. F. insoweit auf nicht mit den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Bestimmtheitsgrundsatz in Einklang zu bringen ist, wonach die Aussetzungsauflage einer Unterbringung, die ambulante Behandlung eines Betroffenen auch gegen dessen Willen, nicht als weniger eingreifende Maßnahme als die einer Unterbringung selbst gesehen werden kann, sondern als ebenso schwerer Eingriff in Grundrechtspositionen. Die sich aus der Neuerung der Regelung des PsychKG erwünschte Konsequenz eines neu eröffneten Anwendungsbereiches staatlicher Zwangsmassnahmen gegen einen psychisch Kranken vor Erreichen des Erforderlichkeitskriteriums einer möglichen Unterbringung durch eine Behandlungsauflage ist verfassungsrechtlich bedenklich.

c. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es, die Voraussetzungen einer Aussetzungsauflage einer ärztlichen Zwangsbehandlung nach § 8 Abs. 5 PsychKG an ebenso hohen Erforderlichkeitskriterien zu messen wie die Voraussetzungen einer Unterbringungsgenehmigung nach §§ 9, 14 PsychKG.

d. Eine Zuführungsgenehmigung mit präventivem Einschlag ist mit geltendem Verfassungsrecht nicht vereinbar, soweit es eine Erweiterung bestehender staatlicher Zwangsmassnahmen unter Vorverlagerung der Erforderlichkeit solcher Maßnahmen bedeuten würde .

e. Die Erweiterung des Gefahrenbegriffes auf den weitgehend unbestimmten Rechtsbegriff einer "unvorhersehbaren" Gefahr impliziert die Annahme einer generellen Gefährlichkeit eines psychisch Kranken und wird dem Grundsatz einer konkreten objektivierbaren Gefahrenlage als tatbestandliche Voraussetzung eines staatlichen Eingriffes nicht gerecht. In übrigen widerspricht eine derartige Definition einer unmittelbaren Gefahr dem Bestimmtheitsgrundsatz.

f. Das Selbstbestimmungsrecht eines Betroffenen wird darüber hinaus durch die Kumulation von Erweiterung des Gefahrbegriffes und faktische Beschränkung des "Rechtes auf Krankheit" bzw. "Freiheit zur Krankheit" bei einer gesetzlich geregelten allumfassenden "ärztlichen Vernunfthoheit" über den psychisch Kranken in verfassungsrechtlich bedenklicher Form eingeschränkt.

(Den vollständigen Text des Gutachtens finden Sie im Internet unter http://www.die-bpe.de/saschi_stellungnahme)

Gesendet am 14.04.2005 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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