MdB Kauch (FDP): Zwangsbehandlung ist Körperverletzung

Der Disssidentenfunk ganz aktuell: Heute wurde im Bundestag über den Zwischenberichts der Enquete-Kommission "Ethik und Recht der modernen Medizin" des Bundestages zu Patientenverfügungen debattiert. Wir präsentieren einen Mitschnitt der besten Stellen aus der Rede des FDP Abgeordneten Kauch:

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Leitbild ist dabei unser liberales Menschenbild – das des Menschen, der über sein Leben auch in existenziellen Fragen so weit wie möglich selbst entscheiden kann. Ein Menschenbild, das der Selbstbestimmung Vorrang vor anderen Überlegungen Dritter gibt, und seien sie noch so fürsorglich motiviert. (...)

Die eigentliche politische Trennlinie zwischen den Lager in dieser Diskussion: die Trennlinie zwischen fürsorglichem Paternalismus, der Zwangsbehandlungen in Kauf nimmt, und dem Vertrauen auf die Kraft und die Urteilsfähigkeit des einzelnen Menschen.

Um es klar zu sagen, wir haben keine naive Vorstellung eines autonomen Individuums. Natürlich ist der Mensch eingebunden in Beziehungen, er hst auch innere Zwänge. Gerade bei Patientenverfügungen kommt ein anderer Aspekt hinzu: man trifft Entscheidungen für Szenarien in der Zukunft, die man nur bedingt abschätzen kann. Der vorausverfügte Wille ist immer schwächer als der aktuell verfügte. Aber was ist die Alternative? Die Alternative ist Fremdbestimmung durch andere Menschen. Und bei aller Relativierung des autonom handelnden Menschen: wir Liberale entscheiden uns – im Leben wie im Sterben – für die Selbstbestimmung. (...)

Jede medizinische Maßnahme – nicht der Verzicht darauf! – ist durch Einwilligung des Patienten zu rechtfertigen. Eine Zwangsbehandlung ist Körper­verletzung, dem Arzt drohen strafrechtliche Konsequenzen. Und das gilt im Grundsatz auch für den nicht-einwilligungsfähigen Patienten.

Die FDP will deshalb die rechtliche Verbindlichkeit von Patientenverfügungen stärken. Patienten brauchen Rechtssicherheit darüber, dass sich Ärzte und Betreuer nicht über ihren im Voraus verfassten Willen hinweg setzen können – dann wenn sie am schwächsten sind, weil sie kommunikationsunfähig sind und sich nicht mehr gegen nicht gewünschte Behandlungen wehren können.

Das Recht zur Selbstbestimmung über den eigenen Körper gehört zum Kernbestand der durch das Grundgesetz geschützten Würde und Freiheit des Menschen. (...)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Kommissionsmehrheit, mit Ihrem Entwurf damit liefern sie Patientinnen und Patienten Zwangsbehandlungen gegen deren erklärten Willen aus!

Damit würde das Gegenteil von dem erreicht, was sich die Enquete-Kommission zur Aufgabe gemacht hat, nämlich die Rechte von Patienten zu stärken. Die Rechtsfigur des "trotz Behandlung irreversibel tödlichen Verlaufs" macht Patientenrechte von einer ärztlichen Prognose abhängig, deren Verlässlichkeit nicht in allen Fällen garantiert werden kann.

Für den Anwendungsfall des Wachkomas geht die Kommissionsmehrheit mit Blick auf die Selbstbestimmung noch hinter die Rechtslage zurück. Die Bundesärztekammer sagt, dass es sich nicht um Sterbende handelt - das ist richtig - und sie deshalb auch ernährt werden müssen. Allerdings sagt sie weiter: unter Beachtung ihres Willens. Diese Einschränkung wischt die Enquete-Kommission einfach weg. Auch gegen den Willen der Patienten sollen Magensonden gelegt, Sehnen zerschnitten, Antibiotika verabreicht und Reanimationen durchgeführt werden. Das hat mit Selbstbestimmung nichts zu tun.

Auch über religiös motivierte Behandlungsbe­schränkungen setzen Sie sich locker hinweg. Wenn ein Zeuge Jehovas verfügt, niemals eine Bluttransfusion zu wollen, auch wenn er deshalb sterben müsste, dann ist auch das zu achten. Man mag es persönlich für falsch oder tragisch halten, doch niemand hat das Recht, Menschenwürde, Selbstbestimmungsrecht und Religionsfreiheit durch Zwangsbehandlungen mit Füßen zu treten!

Kernforderung der FDP ist es dagegen, dass Therapiewünsche, Therapiebegrenzungen und Therapieverbote durch eine Patientenverfügung für jeden Zeitpunkt eines Krankheitsverlaufes möglich sein müssen. Lediglich eine Basispflege darf aus Gründen der Menschenwürde nicht ausgeschlossen werden.

Die FDP möchte, dass Therapiebegrenzungen, Therapiewünsche und Therapieverbote in jeder Krankheitsphase möglich sind. Das gilt ausdrücklich nicht für die Basispflege; sie muss immer sichergestellt sein, beispielsweise das Waschen und das Befeuchten der Lippen. Voraussetzung ist, dass die Patientenverfügung klar definiert und anwendbar ist und dass sie - das ist etwas, dem die FDP große Bedeutung zumisst - dem Patienten noch personal zurechenbar ist. Hier kommen wir zu dem Fall der Demenzkranken. Wenn die Patientin, wie beschrieben, offensichtlich glücklich lebt und gar nicht mehr die Persönlichkeit darstellt, die sie einmal war, wenn sie auch nicht mehr weiß, dass sie einmal eine Patientenverfügung abgegeben hat, dann muss man dies natürlich anders bewerten, als wenn jemand, durch einen Unfall verursacht, im Wachkoma liegt, seinen Willen also nicht mehr ändern konnte und auch keine Willenserklärung mehr abgeben kann.

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Gesendet am 10.03.2005 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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