Patientenverfügung – Teil 1

Warum ist die gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung so wichtig für Psychiatrieerfahrene?

Die gesetzliche Regelung dafür wird zwar vor allem an der Frage der Sterbephase eines Menschen diskutiert, aber die Thematik, die zugrunde liegt, ist genau die gleiche, die in der Psychiatrie verhandelt wird, nämlich, ob Menschen sich ihrem Willen entsprechend medizinische Handlungen verbitten können bzw. ob ihr Wille überhaupt krank genannt werden kann, und sie deswegen, weil ihr Wille krank genannt wird, mit Zwang behandelt werden können.

Wenn man das ausschließen will, dann wäre natürlich eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung, die verbindlich ist, ein ganz großer Schritt für uns, denn dann könnte man im vorab sich verbitten, daß man zwangsbehandelt wird. Man könnte damit natürlich auch das ganze Modell von Geisteskrankheit unterlaufen. Denn, wenn es eine reine Frage meines Willens ist, daß ich vorab sage, ich will nicht geisteskrank sein, dann kann ich es auch nicht mehr werden, weil ich nicht mehr mit Zwang und Gewalt geisteskrank gemacht werden kann. Dann zerbricht auch das ganze Modell von Geisteskrankheit, denn es ist eben keins, was objektiven Kriterien genügen würde, wie z.B. bei Beinbruch oder anderen Krankheiten, wo Mikroben, Viren oder veränderte Gewebe als Grundlagen da sind, sondern es ist eben eine reine Zuschreibung durch einen Arzt. Wenn ich mir die verbitten kann, dann fällt zentral das ganze Monopol, überhaupt Geisteskrankheit verteilen zu können.

Was sind die Kernfragen, um die gestritten wird?

Im Grunde genommen, liegen der ganzen Problematik zwei Kernfragen zugrunde: Die eine ist die, wer über den Körper eines Erwachsenen verfügt. Ist es nur der Betreffende selber oder können dazu durch den Staat und die Gesellschaft Regelungen getroffen werden? Damit ist natürlich zugespitzt dann die Frage, wer bei einer Selbsttötung darüber verfügt: Ist es nur die Person selber oder ist es doch noch  -- in der einen oder anderen versteckten Form, wenn man es nicht offen sagen will -- die gesellschaftliche Norm und damit auch die in Gesetze gegossene Regel, daß das bestraft werden soll.

Damit in gewisser Weise verknüpft ist, daß es um das Wohl geht: Wer bestimmt das Wohl einer Person? Sicherlich wird man in einer moderneren Auffassung immer sagen, das sie es natürlich nur selber ist, daß ein subjektives Empfinden dahintersteht; das, was ich als Wohl für mich empfinde ist noch lange nicht das, was andere als Wohl empfinden. Und wiederum hängt damit unmittelbar die Frage zusammen, was jemand, der dann für mich bestimmen soll (ein gesetzlicher Betreuer), tut und nach welchen Prinzipien er handelt. Handelt er nach dem Wohl, so wie ich es selber bestimmt habe, also nach meinem Willen, den ich vorher festgeschrieben habe in der Patientenverfügung, oder handelt er nach einer allgemeinen gesellschaftlichen Norm.

Wer sind die Gegner der von Justizministerin Zypries vorgeschlagenen Gesetzestextfassung?

Da hat sich inzwischen eine ganz merkwürdige Koalition herausgebildet. Das eine sind auf alle Fälle die christlichen Kirchen, die in einer traditionellen Auslegung doch nicht wollen, daß der Mensch über seinen eigenen Körper verfügen soll; daß er letztendlich ein schuldbeladenes Wesen sein soll und nicht sozusagen schuldlos, unentschuldigt und ohne Schmerz und Peinaus diesem Leben entweichen können soll. Das ist noch ein Hintergrund, den man, glaube ich, beachten muß.

Zweiter Koalitionspartner sind sicherlich die Krankenhausärzte im Marburger Bund, die sich gegen den Präsidenten der Bundesärztekammer, Dr. Hoppe, gestellt haben. Die sich natürlich insbesondere auch in der Psychiatrie in der stationären Unterbringung diese inquisitorische Peitsche,Zwang und Gewalt Leute festzuhalten,  nicht aus der Hand nehmen lassen wollen.

Gibt es noch andere Argumente der Gegner des Gesetzesentwurfes?

Ja, sie verfolgen immer eine bestimmte Argumentationsschiene: Sie behaupten, durch eine Regelung zur Patientenverfügung würde in irgendeiner Form aktive oder passive Sterbehilfe gefördert werden. Beides trifft eigentlich nicht für den Vorschlag zu, den die Justizministerin gemacht hat. Denn auch dann, wenn ich eine ärztliche Hilfeleistung unterlasse, ist natürlich immer noch wieder entscheidend, auf wessen Willen hin das geschieht. Ist es der Wille der Person, die untersagt (wenn sie es nicht mehr selber sagen kann, durch eine vorherige Erklärung, die Bevollmächtigter oder Betreuer durch oder umsetzen muß), daß auf ihren Willen hin eine medizinische Hilfeleistung unterbleibt, dann ist es nichts anderes, als ein von ihr erwünschter Sterbeprozeß. Wenn das der Fall ist, ist es keine passive Sterbehilfe, sondern es ist ein erwünschter Sterbeprozeß, der nicht gegen den Willen der Person verhindert wird. Die Person verstirbt dann an ihrer Krankheit und nicht an der unterlassenen Hilfeleistung. Das ist ganz wichtig zu bemerken, daß da immer falsche Argumente unter der Hand verwendet werden, um offensichtlich etwas anderes zu bewirken.

Das wird normalerweise dann immer noch weiter dramatisiert, indem behauptet wird, das wäre der Einstieg in die aktive Sterbehilfe, womit dann nicht ein Unterbleiben von medizinischer Behandlung auf den eigenen Wunsch gemeint ist, sondern eine Tötung auf Verlangen, also daß auf den Wunsch des Betreffenden hin die Person ein Giftcocktail oder ähnliches bekommt. Das hat nichts zu tun mit dem, was unter dem Wort Euthanasie hier dauernd verhandelt wird. Der systematische ärztliche Massenmord und die umfassenden Machtausübung durch Ärzte ist ja gerade das Gegenteil, von dem, was mit der Patientenverfügung erreicht werden soll, nämlich die Begrenzung der ärztlichen Macht. Damit ist es die perfidest mögliche Argumentation, die man in dieser Frage bringen kann.

Was können wir denn den Gegnern der Patientenverfügung antworten?

Ich denke, man muß immer wieder sehr genau untersuchen, was gesagt wird. Zentral muß man ihnen antworten, daß wir davon ausgehen und daran festhalten, daß über den Körper eines Erwachsenen nur die Person selber entscheiden kann. Diese Entscheidung muß verbindlich und bindend sein. Und es davon keine Ausnahmeregelung geben. Denn jede Ausnahmeregelung wäre in der einen oder anderen Weise ein Übergriff, ein Eingriff, der genau das bewirkt, was die Gegner behaupten, damit verhindern zu wollen, nämlich eine Entwürdigung und Entmenschlichung der Person, indem ihr Wille gebrochen wird.


Gesendet am 10.03.2005 im Dissidentenfunk (www.dissidentenfunk.de)

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